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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe II (1887 / 3)

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errangen, war auch in der Wollindustrie des nordöstlichen Böhmens der 
kunstgewerblichen Reform ein immerhin weites Feld geöffnet. 
Die äußeren Verhältnisse waren während der seither verflossenen 
zwanzig Jahren andauernd günstige. Eine Vergleichung der statistischen 
Tabellen der Sechziger Jahre mit den heutigen erweist eine namhafte 
Ausdehnung der Wollindustrie im Karnmerbezirke. Die Einsicht und der 
Unternehmungsgeist der Industriellen wusste den gesteigerten technischen 
Anforderungen durch Heranziehung aller gebotenen Hilfsmittel zu genügen. 
Wenn nun wider Erwarten von der kunstgewerblicheu Production nicht 
dasselbe gesagt werden kann, so müssen wir uns vor Allem fragen, 
welches Substrat für eine solche überhaupt vorhanden war. In der Tuch- 
fabrication nach althergebrachter Weise ist dasselbe nicht zu suchen, 
weder in den glatten Tuchen, noch in den sogenannten faconnirten; die 
moderne Tracht ist eben nicht dazu angethan. Mehr Spielraum wäre 
dem artistischen Momente in der Cachemirweberei geboten, die beispiels- 
weise das Liebig'sche Etablissement im Josefinenthale in großartiger 
Weise betreibt. Es ist auch daselbst eine Anzahl von Jacquardstühlen 
aufgestellt, auf denen kleine Damastmuster erzeugt werden, aber eben 
die geringe Zahl dieser Stühle gegenüber den Schaftwebstühlen, die blos 
undessinirte Waare erzeugen, beweist die geringe Neigung, die für eine 
kunstgewerbliche Production vorhanden ist. Dasjenige Gebiet, auf dem 
die Frage der modernen Geschrnacksreform nicht zu umgehen war, ist 
das der Möbelstod- und Teppichfabrication. Man scheint hier aber auf 
die Reform jederzeit nur soweit eingegangen zu sein, als es die Mode 
erlaubte und bestimmte. Die heutige Production oHenbart die ganze Ver- 
legenheit einer Industrie, die alle erdenklichen Stilarten äußerlich durch- 
gemacht hat, ohne in eine einzige gehörig eingedrungen zu sein, die ohne 
eigenes Zielbewusstsein nur ängstlich aufhorcht, was wohl die morgige 
Mode bringen mag - eine Mode, die sich in eingesendeten Abschnitzeln 
französischer Erzeugnisse verkörpert. Es ist merkwürdig, dass sich unter 
den zahlreichen Industriellen, denen so großartige Geldmittel und ein 
schier unbegrenzter Credit zur Seite stehen, nicht einer gefunden hat, 
der den Beruf in sich gefühlt hätte, im Geiste der Reform selbständig 
vorzugehen. Es gebricht weder an Leistungsfähigkeit, noch selbst an 
gutem Willen. Bei W. Ginzkey in Malfersdorf - um auch hier einen 
der größten Industriellen zu nennen - war beispielsweise ein Gebet- 
teppich in orientalischer Art zu sehen, ein Erzeugniss der Fabrik, der 
hinsichtlich seiner Provenienz Kenner stutzig machen konnte: ein Beweis, 
wie tüchtig man sich daselbst in die genannte Stilrichtung hiueingefunden 
hatte. Anstatt aber dieses gewonnene Verständniss in allgemein stil- 
bildendem Sinne zu verwerthen, schwenkt man heute rasch um zur 
neuesten Tagesmode, einer verschämten Blumistik, die zwar noch stilisirten 
Charakter zeigen möchte, aber in gewissen hellen Rosa- und Himmel- 
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