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Kunstgeschichte führen, und wünschen wir aufrichtig, dass sie den
gleichen Sinn der Beharrlichkeit auch in der Gegenwart zeige, die Alles
zu lösen sucht, was Jahrhunderte in festen Händen ruhte. Möge sie
allen Versuchungen und Verlockungen der Antiquare und Kunstfreunde
widerstehen und mit zäher Kraft das festhalten, was sie noch besitzt.
Hat die kirchliche Ausstellung ihre Schuldigkeit gethan? Sie ist mit
einer gewissen Tendenz, mit bestimmter Absicht in das Leben gerufen
worden, hat sie dieser Tendenz entsprochen, diese Absicht erfüllt?
Man kann nicht sagen, dass sie glänzend besucht worden. Der
Besuch, der im Anfange sehr erfreulich war, hat später nachgelassen.
Davon ist zum Theile Ursache die Abwesenheit des Wiener Publicums
während des Sommers, dann erst der schlechte Frühling und danach der
überaus heiße Sommer. In solcher Zeit, wie hier im Juli und August,
gehört der Aufenthalt in den Sälen des Oesterr. Museums bei der ver-
fehlten Ventilation nicht gerade zu den größten Annehmlichkeiten des
Lebens. Aber die Ursache, dass sie sozusagen nicht strümend besucht
worden, lag vor Allem in ihr selber. Man konnte sich nicht verhehlen
und hat sich auch von Anfang an nicht verhehlt, dass die meisten und
gerade die interessantesten Gegenstände nicht Anziehungspunkte für das
große Publicum bilden, dass sie wCaviar für's Volk" sind. Nur bei einem
sehr bestimmten und andererseits bei einem sehr gebildeten Publicum
konnte das hinlängliche Interesse vorausgesetzt werden. Und dieses
Publicum ist auch gekommen, Anfangs das gebildete und zugleich für
die Kirche und ihre Werke interessirte Publicum und danach auch die
Geistlichkeit, die Künstler und Industriellen auf dem Gebiete der kirch-
lichen Kunst und endlich die Kunstforscher und die Archäologen aus
Nah und Fern. Qualitativ genommen ist also die Ausstellung richtig und
auch reichlich besucht worden.
Mit dem Besuche allein ist es aber nicht gethan, und auf den Besuch
allein war es auch nicht abgesehen. Recapituliren wir ein wenig, wie die
Dinge standen und was wir erreichen wollten.
Die Idee dieser Ausstellung hatte ihren Ausgang von der Erkenntniss
genommen, dass seit Jahren schon für alle kirchliche Kunst eine gewisse
Gleichgiltigkeit herrsche und dass diese in Folge dessen, was Vollkom.
menheit und Mannigfaltigkeit, was Schönheit des Colorits und der Zeich.
nung betrifft, nicht die gleichen Fortschritte gemacht habe wie gleich-
zeitig alle Zweige der Kunstindustrie für das Haus. Einstmals in der
Erhebung der Reforrnthätigkeit der weltlichen Kunst voraufgegangen,
war sie doch weit hinter derselben zurückgeblieben und ist es heute
mehr als je. Bei solcher Gleichgiltigkeit oder Vernachlässigung war sie
nur zu sehr der Schablone verfallen; sie war Fabriksarbeit geworden,
und wie alle Fabriksarbeit Eines wie das Andere ohne individuelle Züge
gleichmäßig gut oder vielmehr gleichmäßig schlecht. Und mehr noch,
als Fabrikswaare wurde sie auch vertrieben, geführt als Geschäft, ver-