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Flächen einhält. Alles kleinliche Detail verwirrt. lst es schon die Kirche
an sich, welche Ruhe in der Composition verlangt, so ist es noch mehr
das glänzende Material selber; ohne Ruhe würde nur ein Gefunkel ent-
stehen, welches nicht Aden Eindruck der Feierlichkeit, der Erbabenheit,
der Größe hervorruft, sondern den eines weltlich eitlen Schimmers.
Durchaus in jenem Sinne haben die Mosaicisten der ersten Epoche und
auch jene noch im zwölften und dreizehnten Jahrhundert ihre Technik
behandelt. Es sind keine vollkommenen Künstler mehr, welche ihre Kunst
in jeder Weise gründlich und richtig kennen und handhaben. Mit dem
allgemeinen Verfall derfKunst haben auch sie die fehlerlose Zeichnung
verloren; nur noch bekleidete Gestalten um sich sehend, ist ihnen die
Kunde des Nackten entschwunden: sie zeichnen die Körpertheile unsicher,
die Glieder unbestimmt, die Gelenke unarticulirt. Sie sündigen gegen die
Gesetze der Perspective und der Proportionen; sie zeichnen alles wie
auf einer Fläche, stellen große und kleine Figuren neben einander und
fehlen insbesondere in der perspectivischen Darstellung der Gebäude.
Nichtsdestoweniger verfehlen sie ihre Wirkung nicht, und wie es
scheint, sind sie sich derselben wohl bewusst. Sie halten ihre Figuren
groß, gewaltig, einfach und klar; wir schrecken oft vor der mächtigen
Christusfigur und den strengen, ernsten Gestalten der Apostel. Der tief-
blaue Himmel mit goldenen Sternen, der dunkelgoldige Grund, von dem
sich die Figuren abheben, die leuchtenden Farben der Gewänder, der
blumige Wiesengrund, der das Paradies vorstellt, die trennende und
umrahmende Ornamentik, das stimmt alles in so vollkommener Har-
monie zu feierlicher Pracht zusammen, dass eine triumphirende, von
Weltlichkeit und Dogmatismus noch nicht ergritfene Kirche keinen ent-
sprechenderen und würdigeren künstlerischen Ausdruck hätte finden können.
Die Glasmosaik, so angewendet wie in ihrer ersten Epoche - freilich
ohne die Fehler der Zeichnung - ist der schönste und großartigste
Schmuck der christlichen Kirche.
Die alten Künstler, wie gesagt, hielten die Compositionen klar und
einfach, die Figuren nach Thunlichkeit getrennt. Auf jenem sogenannten
Triumphbogen, der die Apside vom Schiffe trennt, thronte der Erlöser
in seiner Glorie, vorragend an Glanz und Größe, über ihrn die Zeichen
der Evangelisten, neben ihm oder in der Kuppel umhergestellt, die
Einzelfiguren der Apostel. Hier am Triumphbogen, in der Apsis oder in
der Kuppel kam die siegende Kirche zum Ausdruck; an den Wänden
der Schiffe entlang waren Scenen und Begebenheiten aus dem alten und
neuen Testamente dargestellt. Künstler und Geistlichkeit, die nun einen
Einfluss auf die Darstellung gewann, waren hierin weiter gegangen als
in den Malereien der Katakomben. Die unklinstlerischen Symbole ver-
schwanden und das Persönliche, Reale, Geschichtliche des Christenthums
gelangte immer zahlreicher zur Darstellung. Das Christenthum musste
mit seinem Bilderkreise die reiche künstlerische Welt des heidnischen