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INTERNATIONALE SAMMLER-ZEITUNG
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bezeichnen und dadurch ihre natürliche Unmittelbar
keit andeuten, oder als »intuitiv«, wenn wir an das
hinter der Wahl stehende Seelenbedürfnis denken),
ist also urphänomenal, unabhängig im innersten
Grunde von Bildungsgrad und Milieu des Sammlers,
und es lassen sich daher die nicht seltenen Fälle er
klären, wo sogenannte Halbgebildete oder gar Un
gebildete im Sinne des Sprachgebrauches als ganz
hervorragend sicher greifende Sammler oder Händler
sich uns vorstellen. Dies gilt auch ganz besonders
für eine große Anzahl provinzialer Heimatsammler,
die ja sowieso die deutlichen Repräsentanten des na
türlichen Verhältnisses zwischen Volk und Kunst
sind, das durch keinerlei andere Werbung ersetzt
werden kann. Das Volk mit den meisten Heimat
sammlern wird daher auch immer das Volk mit dem
innigsten Verhältnis zu seiner Kunst sein.
Solche sammlerische Sinnenfähigkeit ist der be
ste, unbeeinflußteste Experte und die aus den Sinnen
gewonnene Ueberzeugung die klarste Expertise. Die
wissenschaftliche Expertise kann daneben keinen an
deren Sinn haben, als auf Grund wissenschaftlicher
Erfahrung und wissensgeistiger Schulung in Worte zu
kleiden, was die Sinne erfühlten, aus dem Magazin
des Wissens heraus diese Erfühlung zu belegen, ma
terialmäßig zu beweisen zu versuchen, mit Zahlen
und Namen zu verdeutlichen. Den Beweis schließ
lich aus dem Vergleichsmaterial herzuleiten und aus
Wissen und Vergleich heraus allgemein Verständli
ches und Nachprüfbares in Worte zu setzen.
Darum ist es zum Beispiel nicht möglich, wie
man vorschlug, die Expertise wieder durch die »Ga
rantie« der gewissenhaften Händlerüberzeugung zu
ersetzen, weil solcher Ueberzeugungsmeinung die dis
kutierbare Formulierung und der nachprüfbare histo
rische Beweis fehlt, es ist aber ebenso sicher, daß
eine solche Ueberzeugungsmeinung, hinter die sich
ein fähiger Händler mit seiner ganzen Autorität und
seinem ganzen Ruf stellt, einem Sammlerkunden ge
nügt, der aus seiner sammlerischen Sinnenfähigkeit
heraus einer Formulierung in Worten nicht bedarf,
weil seine geschulten Sinne den Beweis ihm ohne
Worte (oder eventuell entgegen dem Expertisenwort
laut) liefern.
Es ist aber bezeichnend — um aus dieser aktu
ellen Abschweifung wieder auf das Thema überzu
leiten — daß die Expertise der zur Diskussion ste
henden heutigen Form in einer Zeit auf trat, die am
Ausgange des Bürgertums alter Art lag und am Be
ginne einer Epoche der ratio und des Intellektua
lismus.
Ratio und Intellektualismus sind ausgesprochene
Diskorrektoren des Instinkts und der Intuition, wel
che beide bisher die sammlerische Wahl, die samm
lerische Kenntnisnahme vom Kunstgegenstande lei
teten, Sie sind, in der Ueberwertung auf tretend, wie
heute, Verfälscher und Unterdrücker des Seelenver
langens und des sinnhaftigen Urteils, sie greifen an
die Urphänomenalität des Sammlermenschen und
sind mit die allerinnerste Ursache der gegenwärtigen
Sammlerkrise und der Sammlerunfähigkeit ihnen er
gebener Menschen.
Ratio und Intellektualismus sind aber zugleich,
wenn auch heute in der Kulturwende noch in unhar
monischem und daher zerspaltenden Verhältnis zu
Instinkt und Intuition stehend, doch schon erkenn
bare Faktoren eines neuen und zukünftigen Samm-
lertums.
Die Technik des Sammelns ist also in erster
Linie eine Technik der Sinnesanwendung; in zweiter
Linie eine solche der Materialkenntnis. Auch das
Material bei seiner durch alle Zeiten gleichbleibenden
Grundart wird mit den Sinnen wahrgenommen und
wenn das allgemeine »Gefühl« für den seelischen
und künstlerischen Befriedigungswert des Wahl
stückes urphänomenal entsteht, so trifft dies für die
Materialkenntnis nur zum Teil zu, zum größeren
Teil nimmt dies aber wissenschaftliche Methoden zu
Hilfe. (Röntgenologie, Makro- und Mikrophotogra
phie, chemische Analysen etc.) Der Sammler kennt
schon seit Jahrhunderten auch solche, hauptsächlich
einfache chemische Untersuchungsmethoden, die er
(nach der seelischen und künstlerischen Wertigkeits
prüfung) an der Echtheit vornimmt (z. B. Säureprü
fungen an Metallen, Patinaprüfungen etc.). Hier fügt
sich in gewisser Hinsicht auch die kunstwissenschaft
liche Untersuchung ein als eine ebenfalls analyti
sche, und zwar vornehmlich historisch vergleichende
und einordnende Tätigkeit.
Die bisher genannten Ausführungen betreffen
die sammlerische Wahltechnik. Diese Gegenstands
wahl ist die entscheidende Tätigkeit des Sammlers.
Aus ihrer Glückhaftigkeit heraus bildet sich das Ge
sicht der Sammlung Zug um Zug. Wenn wir aber
schon oben bemerkten, daß die Sammlung das »Ge
sicht« der Sammlerseele ist, so ist auch einzusehen,
daß eine sammeltechnische Anweisung, wie eine
schöne Sammlung zusammenzubringen sei, nicht ge
geben werden kann. Erstens weil die »Schönheit«
der Sammlung (sie hat wenig mit deren Kostbarkeit
gemein) das Abbild der »schönen« Seele des Samm
lermenschen ist, und jede Menschen- und Sammler
seele von der anderen verschieden ist mit anderen
Sehnsüchten und anderen Wünschen. Jeder Sammler
muß sich daher seine eigene engere »Technik«
suchen. «
Als rein sammlertechnische Fragen blieben bis
her noch unerörtert die:
Wie und wo finde ich glückhaft mein Sammler
gut? und
Wie verwahre ich mein Sammlergut?
Wir können auch diese beiden Fragen nur so
beantworten: Der echte Sammler »findet« sein Gut
instinktiv, er wittert es, vermöge seiner sinnlichen
Eigenschaften und verwahrt es intuitiv, d. h. er bringt
es in seinen Räumen unter, wie es seiner Zusammen
stellung nach seinem seelischen Bedürfnis Zug um
Zug am geeignetsten liegt. So wie ein Spiegel das
Ebenmaß der Züge wiedergibt, in ihrem Nebeneinan
der und Ineinander, so spiegelt auch die gut aufge
stellte Sammlung das seelische Bild des Sammlers
in seinen Zügen wider, der Sammlerraum bringt sein
Individuelles, Einmaliges, Höchstpersönliches zum
Ausdruck. Dadurch unterscheidet sich die Privat
sammlung des Sammlers von der öffentlichen des
Museums ihrer Aufstellung nach und darum ist die
originale Aufstellung des Sammlers mit ein Wesent
liches bei der Privatsammlung, macht recht eigent
lich das »Gesicht« der Sammlung mit aus. Eine auf
gelöste Sammlung zerfällt in einzelne »Kunstwerke«,
in ein Pluralisches, kommt an den Handel als »Ware«,
so wie eine zerfallene Seele sich spaltet in Bewußt-
seinszustände, in pluralische Bewußtseinssituationen,
Technisch ist allerdings im besten Sinne jene
Tätigkeit des Privatsammlers zu verstehen, die der
Verbesserung, Verklarung und Erhaltung seiner Sam
melgegenstände dient, Also seine rekonstruktive,