44-9
Demnach fordert der Vorsitzende zur Constituirung des Bureau's auf,
und es werden auf Vorschlag des Prof. Thausin g der General-Consul
Crowe (Düsseldorf) und der Geheimerath Schöne (Berlin) durch Accla-
mation zu Vicepräsidenten erwählt, und von dem Vorsitzenden die Herren
Dr. Bruno Meyer (Berlin) und Dr. Albert Ilg (Wien) zu Schriftführern
berufen.
Zunächst wird eine brieiliche Mittheilung des Ober-Tribunalsrathes
Schnaase verlesen;
Meine Herren,
Hochverehrte Freunde und Fachgenossen!
Mein weit vorgeriicktes Alter und die damit verbundenen, gerade in die-
sem Jahre sehr vermehrten körperlichen Beschwerden machen es mir unmög-
lich, dem kunstwissenschaftlichen Congresse, zu dem Sie mir die Ehre der Ein-
ladung ertheilten, beizuwohnen. Es ist dies eine mir sehr schmerzliche Ent-
behrung. Ich würde die Freude gehabt haben, Männer wieder zu sehen, denen
ich seit Jahren für freundschaftliches Wohlwollen und mannichfache Belehrung
dankbar verpflichtet bin, andere, jüngere Fachgenossen persönlich kennen zu
lernen, denen unsere Wissenschaft schon jetzt erhebliche Leistungen verdankt,
und auf denen ihre Hoffnungen beruhen, und endlich im lebendigen, begeister-
ten Austausche angesichts der Welt von Kunstschätzen, die jetzt in Wien ver-
einigt ist, die fruchtbarsten Anregungen zu empfangen. Erlauben Sie mir,
meine Herren, Ihnen mein tiefes Bedauern dieser Entbehrung auszusprechen.
Es würde mir zu einiger Befriedigung gereichen, wenn ich wenigstens
schriftlich einen Beitrag zu Ihren Berathungen und ein wohlbegründetes Votum
über eine der in Ihrem Programme aufgeworfenen Fragen liefern könnte. Allein
auch dazu sind meine Kräfte unzureichend, und ich muss mich begnügen, we-
nige vereinzelte Gedanken in rein persönlicher und brieflicher Form aus-
zusprechen.
Unsere Wissenschaft gehört im Vergleiche mit den älteren, auf langer Tra-
dition beruhenden Disciplinen zu den jüngeren, neu hinzugekommenen. In Be-
ziehung zu der Kürze menschlichen Lebens hat sie dennoch bereits eine Ge-
schichte hinter sich und kann mehrere Generationen von Mitarbeitern unter-
scheiden. Die älteste Generation, die fast allein noch in mir ihre Vertretung
findet, begann ihre Arbeiten vor etwa vierzig Jahren. In begeisterter Ueber-
zeugung von der Berechtigung dieser neuen Wissenschaft, die, wie es gewöhn-
lich geschieht, wenn die Zeit reif ist, fast gleichzeitig an verschiedenen Stellen
und in verschiedenen Individuen erwachte, dachten wir nur daran, das Gebiet
dieser Wissenschaft im Allgemeinen zu umgrenzen und die Nothwendigkeit ihrer
Existenz darzuthun. Meine vniederländischen Briefes hatten gewissermassen den
Zweck, als eine Einleitung in diese Wissenschaft zu dienen, in der sie, von der
gegenwärtigen Kunst und von ästhetischen Anforderungen ausgehend und zu der
Kunst der frühem Zeiten aufsteigend, den thatsächlichen Beweis der inneren Ein-
heit der gesammten Kunstentwickelung führen sollte. Es war dies ein etwas
dilettantisches, aber vielleicht nicht fruchtloses Bestreben. Andere und ich selbst
gingen demnächst im positiven Vortrage der Gesammtgeschichte voran, und wir
hatten in Kurzem die Freude, dass sich jüngere Talente, und zwar in über-
raschend grosser Zahl, uns anschlossen. In ganz Deutschland entwickelte sich
eine rege Thätigkeit, welche uns eine Fülle neuen Materiales zufuhrte, das
kaum in den eng gezogenen Grenzen unserer allgemeinen Umrisse Raum fand.