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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe IX (1874 / 100)

Und wie die ersteren erklärten, der Zeichenunterricht würde in den Jahren, 
welche dem Eintritte in die Akademie vorausgehen, viel zu oberflächlich 
und ungenügend betrieben, so erklärten die Andern einstimmig, was für 
die Industrie Noth thue, wäre Zeichnen und wieder Zeichnen und zwar ein 
mehr methodischer, ein mehr geordneter, umfassender Unterricht im 
Zeichnen, als er bisher ertheilt wurde. Das sind Thatsachen, die existiren, 
und denen heutigen Tages im öffentlichen Unterrichte Rechnung getragen 
werden muss. Darin liegt die dringende Anforderung, die Frage des 
Zeichenunterrichtes eingehender zu erörtern, diesen zugleich als ein Mittel 
der Volkswohlfahrt und der allgemeinen Bildung eingehend zu erörtern. 
Um die didaktische Seite des Zeichenunterrichtes mit voller Klarheit 
zu besprechen, ist es nöthig, die Frage zu beantworten, was ist Zeichnen? 
Zeichnen ist einerseits eine Fertigkeit, und anderseits im eigentlichsten 
Sinne des Wortes eine Kunst. Das Zeichnen ist die Fertigkeit, seine 
Vorstellungen, so verschieden diese sein mögen, auf Flächen bildlich dar- 
zustellen. Ein Botaniker, welcher zeichnen kann, besitzt die Fertigkeit, 
Blätter, Blumen, Früchte auf Papier darzustellen. Ein Geograph, der 
zeichnen kann, hat die Fertigkeit, die Umrisse der Gebirge und Flüsse 
graphisch aufzunehmen. Ein Physiker, der zeichnen kann, hat die Fertig- 
keit, die Linien einer Luftpumpe auf der Tafel richtig darzustellen. Eine 
Stickerin, welche zeichnen kann, besitzt die Fertigkeit, Monogramme oder 
Ornamente auf Seide oder Battist aufzutragen. Ein Architekt, der zeichnen 
kann, besitzt die Fertigkeit, seine architektonischen Gedanken graphisch 
klar darzulegen, und ein Maler, der zeichnen kann, hat die Fertigkeit, seine 
Bildvorstellung in der Fläche deutlich zu entwickeln. 
Jeder Künstler besitzt die Fertigkeit in der Darstellung auf der Fläche, 
welche man Zeichnen nennt; aber nicht Jeder, der zeichnen kann, ist ein 
Künstler. Man wird in den gegebenen Beispielen den Botaniker, den 
Geographen einen Zeichner nennen können, wenn er eben die für sein 
Fach nöthige Fertigkeit im Zeichnen besitzt; aber ein Künstler ist des- 
wegen der Botaniker oder Physiker gewiss nicht. Die Fertigkeit im Zeichnen 
im weiten Sinne des Wortes brauchen sehr viele Menschen; das Zeichnen, 
welches der Künstler übt, beruht nicht blos auf der Fertigkeit des Zeichnens, 
sondern da kommen noch ganz andere geistige Potenzen in Frage, welche 
dem rein künstlerischen Zeichnen eine höhere geistige Weihe geben. 
Was heutigen Tages als Forderung einer besseren Pädagogik gilt, 
ist eben dies, dass das Zeichnen, als Fertigkeit, allen denen in me- 
thodisch richtiger Weise zu lehren sei, welche für ihren künftigen Lebens- 
beruf das Zeichnen als Fertigkeit brauchen; und da es heutigen Tages 
kaum einen Lebensberuf gibt, in welchem diese Fertigkeit nicht wesent- 
lich verlangt wird, so begreift man, warum die Pädagogen gegenwärtig 
von der Volksschule angefangen durch die Bürgerschule und Mittelschule 
hinauf das Zeichnen als hordentlichen Gegenstand des Unterrichtes be- 
trachtet haben. In dem Q. 53 des österreichischen Volksschulgesetzes vom 
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