zo. August 1870 ist daher das Zeichnen mit vollem Rechte als Lehrgegen-
stand vorgeschrieben. In den gleichzeitigen Verordnungen über Lehrer-
bildung findet man wieder das Zeichnen als ordentlichen Unterrichtsgegen-
stand eingeführt. Selbst unter den Lehrern an eigentlichen Gymnasien
gibt es gegenwärtig nicht wenige, welche wünschen, dass das Zeichnen
dort ordentlich gelehrt würde.
Nichts desto weniger stösst die Einführung des Zeichenunterrichtes
als ordentlichen Lehrgegenstand auf mancherlei Widerstand. Die Be-
denken, welche sich gegen den Zeichenunterricht erheben, stammen meist
daher, dass man glaubt, der Zeichenunterricht sei nur für angehende
Künstler nöthig und erwecke in der Jugend unzeitliche Gelüste nach
einer künstlerischen Laufbahn, wodurch die Phantasie der Jugend erhitzt
und von dem Ernste des eigentlichen Lernens abgeführt wird, während
es sich doch nur in erster Linie um das Erwerben von bestimmten
Fertigkeiten der Hand und des Auges handelt.
Bedenken anderer Art gegen den Zeichenunterricht kommen daher,
dass es Lehrer gibt, welche nicht im Stande sind, methodisch die Fertig-
keit des Zeichnens zu lehren, die in dem Wahne sich beünden, sie seien
etwa schon in der Volksschule oder in der Unterrealschule berufen, nach
ihren subjectiven Anschauungen das Künstlerische in dem Gemüthe der
Jugend zu pflegen, die selbst künstlerisch halbgebildet oder verbildet,
dasjenige lehren wollen, was sie selbst nicht üben können, oder das der
Jugend mittheilen, was sie unglücklicher Weise selbst in der Kunst üben.
Und leider hat die ältere österreichische Unterrichtsverwaltung durch
[die Art und Weise, wie die Lehrerstellen besetzt worden sind. nicht
wenig dazu beigetragen, Bedenken gegen die Einführung des Zeichen-
Unterrichtes wach zu rufen. _
Alle diese Bedenken hingegen verschwinden, wenn man auf den
ersten Stufen des Zeichenunterrichtes das Zeichnen in erster Linie als
Fertigkeit aufgefasst, die nach einer richtigen Methode gelehrt wird, und
zwar in jener Weise, welche den pädagogischen Zweck einer Lehr-
anstalt nicht hemmt, sondern fördert. Und da sich die Ueberzeugung
immer mehr und mehr verbreitet, dass dies möglich und im pädagogischen
Sinne auch durchführbar sei, so gewinnt die Ansicht, welche den Zeichen-
unterricht zu einem allgemeinen Lehrgegenstand erheben will, in den ver-
schiedensten Lebenskreisen an Boden.
Die Fertigkeit im Zeichnen ist eine Fertigkeit "wie die des Schreibens,
ja, das Schreiben selbst ist, möchte ich sagen, eine junge frei gewordene
Tochter der uralten Zeichenkunst. Denn das älteste Zeichnen und die
älteste Schrift war ein Bilderzeicbnen und eine Bilderschrift; erst später
und in Folge eines langsamen und in seiner Art wunderbaren Geistes-
processes hat das Schreiben aufgehört ein Bilderzeicbnen zu sein, und ist
die Buchstabenschrift geworden. Durch den Unterricht im Schreiben er-
werben wir die Fertigkeit, unsere Gedanken sicher und rasch ganz unbe-