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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe IX (1874 / 100)

wusst niederschreiben-zu können und was wir bereits durch die Fertig- 
keit des Schreibens errungen haben, das wollen wir durch das Zeichnen 
und die Fertigkeit im Zeichnen in der Zukunft erreichen. Man soll die 
Fertigkeit besitzen, den ganzen immensen Vorrath von Vorstellungen und 
Anschauungen, welche der menschliche Geist umfasst, insoferne er sich 
in der Fläche darstellen lässt, mit der Sicherheit und mit der Leichtig- 
keit, mit der wir schreiben, darstellen zu können. Ich habe die feste 
Ueberzeugung, dass diese Anschauung durchdringen wird, wie sie zu 
Aristoteles' Zeiten durchgedrungen ist, und dass man es zu einer gewissen 
Zeit nicht wird begreifen können, wie man der Jugend die Erwerbung eines 
so wichtigen Hilfsmittels zur Förderung der verschiedensten Lebenszwecke 
einmal hat entziehen können. Dass man rnit einer solchen Sicherheit von 
den Folgen sprechen kann, die sich an die Erwerbung der Fertigkeit des 
Zeichnens anknüpfen, ist mit wenigen Worten zu erklären. 
Das Zeichnen ist keine Erfindung einesl einzelnen Menschen, sondern 
es ist durch Organisation unseres Auges, durch die Grundsätze der Raum- 
lehre, wie eine ewige Wahrheit gegeben, die wohl missverstanden werden 
kann, aber in ihren Grundlagen nicht zu verändern ist. Es gibt nur eine 
Art richtig zu zeichnen, wie_ es nur eine Art zu sehen gibt. Auf diese 
grossen und ewigen Gesetze der menschlichen Natur, auf die ewigen 
Grundlagen der Raumlehre beruht das Zeichnen, jenes Zeichnen, welches 
uns die Fertigkeit und das Verständniss gibt, Gegenstände in einer Fläche 
richtig darzustellen, oder Vorstellungen von Gegenständen, die wir in 
unserem Geiste tragen. Und die Grundsätze waren es vorzugsweise, 
welche im verflossenen Jahre bei Berathung der Reform des Zeichen- 
unterrichtes allen Mitgliedern als Leitstern gedient haben, und über welche 
eigentlich kein Zweifel und unter den Fachmännern keine MeinungsdiBe- 
renz obwaltete. Mit Vergnügen erinnere ich mich dieser Einmüthigkeit 
in der Grundanschauung der fachmännischen Commission, und ich fühle 
mich verpflichtet, dankend jene Männer zu nennen, die, wie Prof. Gran- 
dauer, Hofbauer, Director der Bürgerschule, Prof. Storck und ins- 
besondere Regierungsrath Director Walser, dazu beigetragen haben, 
diesen Grundsätzen in das neue österreichische Lehrsystem Eingang zu 
verschaffen. 
Aber allerdings darf man nicht verkennen, dass der Einführung 
rationeller Methoden im Zeichenunterrichte nicht blos äussere Hinder- 
nisse in dem Weg stehen, sondern, dass man auch mit Vorurtheilen zu 
kämpfen hat; und dass man Zeit, Geduld, Ruhe und Ausdauer brauchen 
wird, um auf diesem Felde zu erwünschten Resultaten zu gelangen. 
Vorerst hat das Verwechseln der ästhetischen und der di- 
dactischen Aufgabe beim Zeichenunterricht eine Reihe von Schäden 
im Gefolge und verdient daher diese vielfach auftretende Erscheinung etwas 
beleuchtet zu werden. 
Eine der ersten Consequenzen dieser Verwechslung ist, dass man
	        
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