9
Erster kunstwissonschahlicher Oongress in Vlion, .
1. bis 4. September 1873.
(Schluss.)
Es folgt die Berichterstattung über die Verhandlungen und Beschlüsse
der zur Vorberathung der Unterrichtsfrage in der vorausgegangenen Sitzung
eingesetzten Commission. Nachdem die in derselben dem Congresse zur
Annahme empfohlene Resolution (s. u.) verlesen worden, erhält das Wort
Dr. Bruno Meyer als Referent der Commission:
Es ist mir erfreulich, gleich am Eingange rneines Referates constatiren
zu können, dass über den Hauptpunkt der gestrigen Debatte, ob überhaupt
kunstgeschichtliches Lehr- und Anschauungsmaterial in den Unterricht der
Mittelschulen eingeführt werden soll, in der Commission keine Meinungsver-
schiedenheit mehr zu Tage getreten ist, obgleich dieselben Herren, welche
gerade gestern den entgegengesetzten Standpunkt vertheidigten, mit von der
Commission waren. lch glaube das als eine Frucht der Verständigung und
Läuterung der gegenüberstehenden Ansichten bezeichnen zu können, welche
durch die gestrige Debatte herbeigeführt worden ist. - Die Commission ist
nach reiflicher Erwägung aller hier einschlagenden Fragepunkte, vom ersten
bis zum dritten, einig geworden, Ihnen die eben verlesene Resolution zur
Annahme vorzuschlagen.
Was bei derselben Ihnen zunächst aufgefallen sein wird, ist die Allgemein-
heit ihrer Haltung. Sie vermeidet es absichtlich, in Detailfragen der Methode
und des UnterrichtsstoiTes einzugehen, weil diese schwerlich vor das Forum
eines kunstwissenschaftlichen Congresses, sondern vor daslder pädagogischen
Fachmänner gehören.
Es hängt diese allgemeinere Haltung unserer Resolution auf's engste
zusammen mit einer Berichtigung unseres ganzen Standpunktes, die wir gleich-
falls der gestrigen Debatte verdanken. Es wird meist und wurde auch gestern
überwiegend über diese Angelegenheit so gesprochen, als ob es sich so zu
sagen um_ eine additionelle Hinzufügung eines neuen Unterrichtsstoffes und l.ehr-
gegenstandes zu den bisher der Mittelschule zufallenden handelte; und nichts
ist meiner Ansicht nach falscher und Angesichts der Ueberbürdung unserer
Schule auf allen Stufen undurchführbaren als gerade das. Sollte ich das, was
wir im Gegensatze hierzu wollen und fordern, mit einem anderen mathematischen
Ausdrucke bezeichnen, so würde ich vielmehr sagen, es handelt sich um eine
Potenzirung; um eine Potenzirung in erster Linie der Methode, welche durch
Annahme eines neuen Ausgangspunktes befähigt werden soll, ohne extensive
Vermehrung des Unterrichtes eine intensiv bedeutende Steigerung der bildenden
Kraft des übertragenen Lehrstoffes zu bewirken. Es handelt sich darum, das
künstlerische Element im gesammten Umkreise des Unterrichtes zur Geltung
zu bringen, in der Auffassung der verschiedenen Unterrichtsstoffe, in der An-
ordnung und Gestaltung derselben; und der Unterricht der Mittelschule soll,
auf diese Weise gehandhabt, eine Steigerung des Niveaus unserer allgemeinen
Bildung bewirken, es soll das Künstlerische als eine Würze, als ein Ferment
in die allgemeine Bildung aufgenommen und eingeführt werden, und es liegt
auf der Hand, dass dies eine Vertiefung der Lehraufgabe ist, gvelche sich im
Gebiete sämmtlicher Unterrichtsfächer gleichmässig wird geltend machen können
und müssen. Zugleich aber wird dadurch klar, dass weder eine besondere Zeit,
eine Anzahl von neuen wöchentlichen Unterrichtsstunden dazu gebraucht wird,
noch eine neue Lehrkraft dafür express zu bestellen ist; es muss nur Sorge