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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe IX (1874 / 101)

punkten, die in Norddeutschland zu suchen waren, ja sogar fern ab von 
Deutschland selbst. Eine deutsche bildende Kunst gab es damals noch 
nicht wieder, als bereits über die bildende Kunst und ihr Verhältniss zur 
Poesie in breitester und ausgiebigster Weise philosophirt ward. Sie lag 
aber den Trägern unseres deutschen Geistesleben nahe genug, und ihr 
fruchtbare Aufgaben zu stellen, ihr durch praktische Anstalten Untergrund 
zu scharfen, war ein Goethe z. B. hochbeflissen. 
Die deutschen Universitäten des Nordens haben wesentlichen Antheil 
an dieser mächtigen Aeusserung des nationalen poetisch-künst- 
lerischen Geistes genommen, sie sind hie und da sogar zeitweise die 
Sitze desselben gewesen, und wir dürfen sagen die einzigartige Stellung, 
welche die deutschen Universitäten in dem nationalen Leben dieses Jahr- 
hunderts eingenommen, ruht guten Theils auf diesem Antheil an dem 
neuen reformatorischen Geiste des vorigen Jahrhunderts, der zunächst im 
Bereiche der sogenannten schönen Wissenschaften sich aussprach. 
Dürr und dürftig genug ist der lateinische Leitfaden, welchen der 
gewandte und gelehrte Professor B a umg art en aus der Leibnitz-Wolfischen 
Schule seinen Vorlesungen zu Halle, dann zu Frankfurt an der Oder in 
den vierziger Jahren zu Grunde legte, die zuerst den Namen der Aesthe- 
tica trugen, einer Wissenschaft von den sinnlichen Empfindungen als ver- 
worrenen Vorstellungen; aber es war doch einmal der Versuch gemacht, 
nicht blos von Begriffen, sondern von einem besonderen Gebiet der Ern- 
phndungen, das freilich viel tiefer stehen sollte, wissenschaftlich zu reden. 
Der gute Mann hat allerdings bei den Beispielen für die Empfindungen 
des Schönen die bildenden Künste nicht ganz vergessen. Die Aesthetik 
bürgert sich zunächst als rein philosophische Theorie seitdem in den Vor- ' 
lesungen ein, wie sie ja als ein integrirender Theil der philosophischen 
Gedankenbewegung von Kant zu Schelling, Hegel und l-ierbart 
bedeutsam sich entwickelte; wir haben heut zu Tage kaum noch -eine 
Vorstellung davon, mit welchem Eifer die gebildete Welt in Deutschland, 
die akademische Jugend voran, den Auseinandersetzungen über den Begriff 
des Schönen, des Charakteristischen, über Idee, Ideal und Symbol einst 
lauschte, während sie noch kaum eine Anschauung wirklicher Kunstwerke 
gehabt, oder eine Zergliederung einzelner versucht hatte. 
Ich darf hier die Worte eines trefiiichen Mannes anführen, eines Karl 
von Raumer, der von seiner Studienzeit in Göttingen, das damals treff- 
liche Kunstgelehrte, im Fache der Musik einen Forkel, der bildenden 
Kunst einen Fiorillo besass, aus dem Jahre 1802-3 und auch noch von 
späterer Erfahrung redet: nWie von wesenlosen Worten über die Dinge 
werden so Viele mehr angeregt, als von den Dingen selbst! Gesetzt, ein 
Gemälde RaphaeYs hinge an einer Wand, gegenüber stünde ein Decla- 
rnator, der eine hochtrabende Rede in poetischer Prosa über das Bild 
hielte, würden nicht die meisten Zuhörer dem Bilde den Rücken kehren 
und ihre ganze Aufmerksamkeit dem Declamator ztuwendil}? So ganz
	        
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