Dle Aufgaben des heutigen Zoichanunterrichtoa.
Vortrag, gehalten am 6. November r873 im Oesterr. Museum von Dir. v. Eitelberger.
(Schluss)
Kommt nun solch" ein Gymnasiast nach glücklich überstandenen:
sechs- bis achtjährigem Zeichenunterrichte auf die Universität, und er soll
nun bei dem Anatornen einen Knochen oder ein anatomisches Präparat
nach der Naturschnell zeichnen, da ist er bei den ersten Verkürzungen
eines Knochens schon völlig rathlos, kennt sich in den ersten Elementen
der Schattenlehre gar nicht aus, weiss die einfachsten Zeicheninstrumente
nicht mit Sicherheit zu handhaben, und warum? - er hat sich imZeichnen
acht Jahre ästhetisch gebildet, aber Zeichnen hat er nicht gelernt. Tritt er
in die philosophische F acultät, und will da Geographie lernen, ohne Zeichen-
fertigkeit kommt er nicht weiter. Studirt er Archäologie und Kunstgeschichte,
und er will sich in den Sammlungen und Museen rasch Copien machen,
so weiss er nicht wie. Bei dem Studium eines antiken oder mittelalterlichen
Bauwerkes kann er sich nicht helfen, da er in den Elementen der Per-
spective und Projectionslehre unsicher ist. Er hat einige Gypsköpfe im
Gedächtniss, oder einige schlechte Lithographien von Göttern und Helden;
aber die Hand, welche zeichnen soll, ist unsicher, das Auge weiss nicht,
was es sehen soll, der Verstand folgt nicht der Anschauung. Acht Jahre
hat er Zeichnen gelernt; will er es ernsthaft auf der Universität anwen-
den, so erfährt er zu seinem Schrecken, dass er Zeichnen eben nicht ge-
lernt habe.
Die Beispiele, die hier angeführt werden , sind keine Fictionen, son-
dem einer dreissigjährigen Erfahrung im Lehramte entnommen, und
könnten leider noch sehr erweitert werden.
Diese Verwirrung des ästhetischen und didaktischen Gesichtspunktes
hat auch in der Gesetzgebung die merkwürdigsten Erscheinungen veran-
lasst. Wir greifen einige Beispiele heraus. In dem Lehrplane der Bildungs-
anstalten für Lehrer und Lehrerinnen der Volksschule v. 19. Juli 1870
wird dem Zeichnen in jeder Klasse zwei Stunden die Woche zugewiesen,
sage zwei Stunden die Woche! Nun ist leicht zu errathen, wie viel und
wie wenig Zeichnen man in zwei Stunden wöchentlich wirklich lernen
kann. Nun lese man weiter, was das Gesetz von einem Lehrer verlangt
hat: Für den Lehrer wird als Zielpunkt hingestellt, nicht blos Bildung
von Auge und Hand, die Fertigkeit auf der Tafel Gegenstände in Um-
rissen auszuführen; er soll diese Gegenstände auch auf Papier mit Schat-
tirung und Colorit ausführen können, er soll die Fähigkeit sich erwerben
Zierformen zu componiren, er soll nach der Natur zeichnen, auch etwas
Unterricht im Modelliren soll er erhalten, und das geometrische Zeichnen
soll auch auf der späteren Stufe auf das Zeichnen von Bauplänen Rück-
sicht nehmen; er soll also so zu sagen ein Künstler en miniature sein.
In der Verordnung über die vBildungsanstalten für Lehrerinnenä wird