auf das zarte Geschlecht besonders Rücksicht genommen. DieqLehrerinnen
sollen noch ästhetisch zarter gebildet sein, alsdie Volksschullehrer. Die
Composition von Zierformen wird ihnen allerdings nicht aufgebürdet;
aber schon in der zweiten Classe soll der Zeichenunterricht Rücksicht
auf Kunstgegenstände nehmen. in der dritten Classe kommt das für
Damen unvermeidliche Landschaften- und Blumenzeichnen vor. Die
Methode erscheint am Schluss nur so zu sagen als Krone des Ganzen.
Man sieht, dass es in allen diesen Fällen um die Sicherheit in den Ele-
menten des Zeichnens und das Verständniss derselben nicht zu thun war.
Man opfert diese Sicherheit, die man bei einem guten Unterricht wohl er-
reichen kann, angeblich ästhetischen Anforderungen, die in der Weise nicht
zu erreichen sind, im Gegentheilje ästhetisch nur verderben. Zugegeben
also, [dass es sich in einem grossen Kreise von Schulen beim Zeichen-
unterrichte um das Erwerben einer Fertigkeit nach einer sicheren Methoe
in erster Linie handelt, so frägt es sich weiter, 0b man bei einem so gearteten
Zeichenunterrichte auf die künstlerische und die Geschmacksbildung
gänzlich verzichten müsse? Und wenn dies letztere nicht der Fall wäre,
worin das künstlerisch bildende Element im Zeichnen bestehe, und in
welcher Weise dasselbe zu erreichen wäre?
b: Vorerst muss die Erfahrung in Erinnerung gebracht werden, dass
jedes Erwerbenyvon Fertigkeiten in jüngeren Jahren viel leichter und
sicherer erreicht wird, als in späteren, im Sprachunterricht wie im musi-
kalischenUnterricht, ebenso wie im Zeichenunterricht. Viel zu einseitig
wird heutzutage die intellectuelle Bildung betrieben, viel zu sehr das
Gedächtniss mit Gegenständen beschwert, für welche der Knabe: oder
Jüngling das entsprechende Fassungsvermögen nicht mitbringt. Die Klagen
von vielen Directoren von Mittelschulen, dass in der Volksschule selbst
auf die Erwerbung der Fertigkeit im Schreiben nicht das nöthige Gewicht
gelegt wird, sind vollständig berechtigt. Viel zu spät wird für das Er-
werben von Fertigkeit gesorgt, nicht blos beim Unterrichte im Zeichnen,
V sondern-beider Künstlerbildung überhaupt. Man darf dies als eine Haupt-
ursache des Verfalles der Künstlertechnik in der modernen Zeit betrachten,
wenn man dieselbe mit der Kunsttechnik früherer Jahrhunderte vergleicht.
Früher wurden alle Kunstfertigkeiten, ohne welche einen künstlerischen
Erfolg zu erreichen unmöglich ist, iniviel jüngeren Lebensjahren erworben,
als es gegenwärtig der Fall ist. Eine nicht geringe Anzahl von Künstlern
bleiben aus diesem Grunde ihr ganzes Leben hindurch Versucher, und
kommen gar nicht zu jener Sicherheit in Anwendung technischer Mitteln,
welche uns selbst in den Werken der barocken Zeit imponirt, und deren
Mangel wir bei sehr bedeutenden Künstlern unserer Zeit nicht selten
vermissen.
Wenn man daher gegenwärtig beim Zeichenunterricht auf das Er-
werben von Fertigkeiten in einer dem Lebensalter und dem Unterrichts-
gange entsprechenden Stufenfolge ein besonderes Gewicht legt, so stellt