man im Unterrichte ein altes Princip wieder her, und bringt einen päda-
gogischen Erfahrungssatz zur praktischen Geltung, gegen den sich keine
ernste Einwendung erheben lässt.
Das künstlerisch Bildende im Zeichenunterrichte liegt
vorerst in der richtigen Methode des Unterrichten: selbst,
und zwar darin, dass das Auge gewohnt wird, richtig zu sehen, und der
Verstand so zu denken, wie es die Gewohnheiten eines richtigen Sehens
mit sich bringen; und dies ist für die Grundlegung einer künstlerischen
Bildung von eminentem Werthe. Dass die Elemente der Perspective, der
Licht- und Schattenlehre in einer dem Lebensalter angemessenen Weise
schon mit dem ersten Zeichenunterrichte in Verbindung gebracht werden,
ist für die Geschmacksbildung gewiss nicht ohne Bedeutung. Die Vor-
bedingungen zur Heranbildung des Schönheitssinnes liegen ganz wo anders,
als man sie häufig sucht. Die künstlerischen Ideale sind anderer Art, als
die eines theologischen Dogmatikers, eines Metaphysikers, Mathematikers
oder Moralisten. Sie verwirklichen sich nicht in der Welt des reinen
Gedankens, des abstracten Sittengesetzes, eines dem Auge unfassbaren
Jenseits. Sie sind durchaus körperlicher Natur, und sind daher an die
Kenntnisse der Gesetze der Körperwelt gebunden. Licht und Schatten,
die Veränderungen der Erscheinungswelt im Raume nach ihrer Lage und
ihrer Richtung, das Verständniss der Formen der Natur sind unabänder-
liche Grundlagen für jedweden Künstler. Wer im Zeichenunterrichte ge-
wöhnt wird, und schon von Jugend auf gewöhnt wird, auf diese Dinge zu
achten, der erwirbt sich einen wirklichen Fond künstlerischer Wahrheiten
und ist gewappnet für sein ganzes Leben gegen jene Verwilderungen der
Phantasie, die in unsern Zeiten wesentlich aus dem Unterrichte im Zeichnen
herstamrnen, der in schlechter Weise und in entartetem Geschmacke selbst
ertheilt wird. All' die Schönheit der Körperwelt beruht vorerst auf grossen
Gesetzen der Proportion, der Symmetrie und Eurhythruie, die nur auf dem
bezeichneten Wege in die jugendliche Seele eingepflanzt werden können.
nDie Perspectiveu, sagt Lionardo da Vinci, vist Zaum und Zügel der
Malereia, d. h. auch für jene Art des Zeichnens, welche lehrt, nicht blos
die Körperwelt zu verstehen, sondern auch sie in sicherer Weise wieder-
zugeben.
Zu einer gesunden ästhetischen Bildung trägt ferner auch das Lehren
der Fertigkeiten, das Handhaben der Instrumente und Werkzeuge im
Zeichnen und die Kenntniss der Technik bei. Es ist absolut nicht wahr,
dass die künstlerische Bildung erst da anfängt, wo das Erwerben der
Technik aufhört; gerade das Umgekehrte ist das Richtige. Mit den ersten
Elementen des Zeichnens beginnt schon ein gewisser Unterricht in der
Kunst, allerdings nicht jener Kunst, von welcher Ideologen und Dilettan-
ten sprechen, welche ihre Vorstellungen von der Kunst aus der Lectüre
ästhetischer und philosophischer Schriften holen, sondern jener wirklichen
Kunst,.die vom Können, das heisst, von sicheren Fertigkeiten! und Dar-