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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe VI (1871 / 67)

Kluges, das Grödner Volk aber ist eine derartige ganze Sprachinsel inmitten deutsch- 
sprec ender Nachbarn. 
Wer sie, ihrem letzten Herkomrnen nach, eigentlich sein mögen, - ausser ihrer 
Sprache und vielleicht einiger Sitten und Sagen, die noch nnerforscht gelassen sind, - 
haben die Grödner aus dem fernen Dunkel des Ursprungs nichts bewahrt, das sie von dem 
allgemeinen Charakter der Alpenbewohner unterscheiden würde. Ohne eine Rolle in 
Tirols Geschichte zu spielen, stiegen zahllose Generationen im Laufe der Jahrhunderte 
in's Grab und haben ihr Dasein im gewöhnlichen Bebauen und Betreuen des heimatlichen 
rauben Bodens, mit den Geschäften der Viehzucht namentlich hingebracht. Nun ist dieses 
Thal von Gröden oder Ghsrdeina, wie sie selber es heissen, wenig fruchtbar, die hohe Lage 
lltast nur Haidekorn, Weizen und spärlichen Roggen gedeihen. Bei so kärglichem Ge- 
treidehau macht die Pdege des Wiesenwuchses die wichtigste Sorge der Leute aus, aber 
auch das bildete eine wenig ergiebige Quelle des Wohlstandes bei dem geringen Raume 
des nur 6 Stunden langen Thales. Schon vor mehr als anderthalhhundert Jahren wird 
daher der Armuth der Grödner gedacht, welche zu einer Einwohnerschaft von 3000 (jetzt 
mehr als 4000) Seelen sich gemehrt hatten. 
Doch wir müssen vor dem grossen Umschwung im Geschick des Grödner Ldndchens, 
welches durch das Aufbliihen seines eigenthümlichen Schnitzlergewerbes aus der Annuth 
zu bedeutendem Wohlstands erhoben werden war, noch einer zweiten, vielmehr ersten, 
älteren Industrie des Thales gedenken, die schon früher geübt wurde und zur Stunde noch 
blüht, jedoch zu keiner Zeit den Leuten eine genügende Schntswehr vor der Noth an 
werden vermochte, wie die spätere Holaschnitzerei dazu bestimmt sein sollte. Wie in so 
vielen Gebieten Tirol's und der Schweiz begegnet auch im Grödner Thal die auEallende 
Erscheinung, dass dieselbe Franenhand, welche die schwere Arbeit in Feld- und Haus- 
wirthschaft besorgen muss, in den Stunden der Musse lleissig der Fenigung von Spitzen 
und Stickereien obliegt. In den verschiedenen Theilen der Gebirge, wo diese Industrie geübt 
wird, ist auch Technik und Grad der Ausüihrung verschieden; man findet hauptsächlich drei 
Kategorien dieser textilen Gewerbthätigkeit: die Spitzen werden geklöppelt oder gestrickt 
und gehäkelt oder es sind Tamhonrirst-ckarbeiten, womit die Frauen sich abgeben. Die 
letzteren werden vorzüglich in Vorarlberg und in der Schweiz, hier wieder in Appenzell 
in hervorragender Weise fnhricirt. H Das ist die richtige Bezeichnung fiir eine Industrie, 
welche mechanisch und massenhaft auf auswärtige Bestellungen arbeitet, sie ist dem 
Volke eingepdanzt worden, nicht aus ihm entsprossen, sie dient als Schutzwehr vor der 
Noth, entspricht aber ihrem Gegenslande nach keinem Bedürfnisse des Volkes selber. 
Fremd wie die französischen Leute, die Aufträge und Muster in dic 'I'l1iiler hereinbringen, 
sind den Verfertigern dieser Monsselinstickereien auch Gebrauch und Verwendung der 
Waare, ein Umstand. der noch ganz besonders den Charakter des Fahriksmlissigen zu 
verstärken angethan ist. Da ferner durch diese Bestellungen schweizerischer und französi- 
scher Firmen auch nichts als die gewöhnlichen naturalistischen Blurnenornamente für 
Gardinen etc. in die Stickerei der Alpenbewohnerinnen eingeführt wird, so hat das ganze 
Wesen ausser dem nationalökouomischen gar keinen Werth; es ist eine dem Volke 
unorganisch, fremdartig aufgedrungene Industrie, die es mechanisch gedankenlos pdegt, 
blos weil dadurch das Stückchen Brod ersetzt werden kann, das des Volkes eigentliche, 
naturgemässeigene Beschäftigung, Bodenpflege und Viehzucht, nicht ausreichend gewährt. 
Von grösserem Interesse erscheint daher, trotz der weitaus bescheidenereu Verhältnisse, 
die Anfertigung textiler Waaren im Grödner Thal, denn es ist eine durchaus heimische, 
ans dem Bediirfniss des Landvolkes selbst erwachsene Industrie. Mädchen, Frau und 
Greisin beschäftigen sich mit dem Klöppeln von Spitzen, die zwar von roher Art 
und nur dem Geschmacks der Leute selber entsprechend, aber eben deshalb nichts fremd- 
artiges, künstlich eingeimphes sind, wobei die Möglichkeit einer Veredlung durchaus nicht 
ausgeschlossen bleibt. Im Jahre 1807 soll der Handel mit der Spitzenwaare, welche gleich 
den Schnitzereien durch die Hausirer das Thales in alle Welt geschleppt wurden, 
25.000 d. jährlich als Reingewinn eingebracht haben, dem Bericht eines Tirolers vom 
Jahre 1853 entnehme ich aber, dass damals nur mehr 19.000 d. einkamen und in 
neuester Zeit hat sich der Ertrag noch mehr verringert. Leider bin ich nicht im Stande 
über Styl und Ornament dieser Arbeiten etwas beizubringen, auch das Alter des Gewerbes 
kann nicht angegeben werden. 
Wenn man die Grödener um die Geschichte ihrer Schnitzerknnst befragt, so wird 
deren Begründung durch de Mez rnitgetheilt, wovon sogleich im Folgenden. Indessen 
scheint es doch, als sei dieser nur der erste kluge Kopf gewesen, der Vorhandenes, die 
bereits gebotenen Verhlltnisse, zum eigenen und Gemeinwohls an benützen verstand, - 
wie das mit den meisten „Erlindungen" nicht andere zu gehen pflegt. Denn es war seit 
urliltestcr Zeit im Lande Tlfßl eine einfache, primitive Holzschnitzerei bekannt, im ganzen 
Alpengebiete liefert der Wald den Stoß" für fast alles Geriithe und das Schaitzmesser ist
	        
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