Kluges, das Grödner Volk aber ist eine derartige ganze Sprachinsel inmitten deutsch-
sprec ender Nachbarn.
Wer sie, ihrem letzten Herkomrnen nach, eigentlich sein mögen, - ausser ihrer
Sprache und vielleicht einiger Sitten und Sagen, die noch nnerforscht gelassen sind, -
haben die Grödner aus dem fernen Dunkel des Ursprungs nichts bewahrt, das sie von dem
allgemeinen Charakter der Alpenbewohner unterscheiden würde. Ohne eine Rolle in
Tirols Geschichte zu spielen, stiegen zahllose Generationen im Laufe der Jahrhunderte
in's Grab und haben ihr Dasein im gewöhnlichen Bebauen und Betreuen des heimatlichen
rauben Bodens, mit den Geschäften der Viehzucht namentlich hingebracht. Nun ist dieses
Thal von Gröden oder Ghsrdeina, wie sie selber es heissen, wenig fruchtbar, die hohe Lage
lltast nur Haidekorn, Weizen und spärlichen Roggen gedeihen. Bei so kärglichem Ge-
treidehau macht die Pdege des Wiesenwuchses die wichtigste Sorge der Leute aus, aber
auch das bildete eine wenig ergiebige Quelle des Wohlstandes bei dem geringen Raume
des nur 6 Stunden langen Thales. Schon vor mehr als anderthalhhundert Jahren wird
daher der Armuth der Grödner gedacht, welche zu einer Einwohnerschaft von 3000 (jetzt
mehr als 4000) Seelen sich gemehrt hatten.
Doch wir müssen vor dem grossen Umschwung im Geschick des Grödner Ldndchens,
welches durch das Aufbliihen seines eigenthümlichen Schnitzlergewerbes aus der Annuth
zu bedeutendem Wohlstands erhoben werden war, noch einer zweiten, vielmehr ersten,
älteren Industrie des Thales gedenken, die schon früher geübt wurde und zur Stunde noch
blüht, jedoch zu keiner Zeit den Leuten eine genügende Schntswehr vor der Noth an
werden vermochte, wie die spätere Holaschnitzerei dazu bestimmt sein sollte. Wie in so
vielen Gebieten Tirol's und der Schweiz begegnet auch im Grödner Thal die auEallende
Erscheinung, dass dieselbe Franenhand, welche die schwere Arbeit in Feld- und Haus-
wirthschaft besorgen muss, in den Stunden der Musse lleissig der Fenigung von Spitzen
und Stickereien obliegt. In den verschiedenen Theilen der Gebirge, wo diese Industrie geübt
wird, ist auch Technik und Grad der Ausüihrung verschieden; man findet hauptsächlich drei
Kategorien dieser textilen Gewerbthätigkeit: die Spitzen werden geklöppelt oder gestrickt
und gehäkelt oder es sind Tamhonrirst-ckarbeiten, womit die Frauen sich abgeben. Die
letzteren werden vorzüglich in Vorarlberg und in der Schweiz, hier wieder in Appenzell
in hervorragender Weise fnhricirt. H Das ist die richtige Bezeichnung fiir eine Industrie,
welche mechanisch und massenhaft auf auswärtige Bestellungen arbeitet, sie ist dem
Volke eingepdanzt worden, nicht aus ihm entsprossen, sie dient als Schutzwehr vor der
Noth, entspricht aber ihrem Gegenslande nach keinem Bedürfnisse des Volkes selber.
Fremd wie die französischen Leute, die Aufträge und Muster in dic 'I'l1iiler hereinbringen,
sind den Verfertigern dieser Monsselinstickereien auch Gebrauch und Verwendung der
Waare, ein Umstand. der noch ganz besonders den Charakter des Fahriksmlissigen zu
verstärken angethan ist. Da ferner durch diese Bestellungen schweizerischer und französi-
scher Firmen auch nichts als die gewöhnlichen naturalistischen Blurnenornamente für
Gardinen etc. in die Stickerei der Alpenbewohnerinnen eingeführt wird, so hat das ganze
Wesen ausser dem nationalökouomischen gar keinen Werth; es ist eine dem Volke
unorganisch, fremdartig aufgedrungene Industrie, die es mechanisch gedankenlos pdegt,
blos weil dadurch das Stückchen Brod ersetzt werden kann, das des Volkes eigentliche,
naturgemässeigene Beschäftigung, Bodenpflege und Viehzucht, nicht ausreichend gewährt.
Von grösserem Interesse erscheint daher, trotz der weitaus bescheidenereu Verhältnisse,
die Anfertigung textiler Waaren im Grödner Thal, denn es ist eine durchaus heimische,
ans dem Bediirfniss des Landvolkes selbst erwachsene Industrie. Mädchen, Frau und
Greisin beschäftigen sich mit dem Klöppeln von Spitzen, die zwar von roher Art
und nur dem Geschmacks der Leute selber entsprechend, aber eben deshalb nichts fremd-
artiges, künstlich eingeimphes sind, wobei die Möglichkeit einer Veredlung durchaus nicht
ausgeschlossen bleibt. Im Jahre 1807 soll der Handel mit der Spitzenwaare, welche gleich
den Schnitzereien durch die Hausirer das Thales in alle Welt geschleppt wurden,
25.000 d. jährlich als Reingewinn eingebracht haben, dem Bericht eines Tirolers vom
Jahre 1853 entnehme ich aber, dass damals nur mehr 19.000 d. einkamen und in
neuester Zeit hat sich der Ertrag noch mehr verringert. Leider bin ich nicht im Stande
über Styl und Ornament dieser Arbeiten etwas beizubringen, auch das Alter des Gewerbes
kann nicht angegeben werden.
Wenn man die Grödener um die Geschichte ihrer Schnitzerknnst befragt, so wird
deren Begründung durch de Mez rnitgetheilt, wovon sogleich im Folgenden. Indessen
scheint es doch, als sei dieser nur der erste kluge Kopf gewesen, der Vorhandenes, die
bereits gebotenen Verhlltnisse, zum eigenen und Gemeinwohls an benützen verstand, -
wie das mit den meisten „Erlindungen" nicht andere zu gehen pflegt. Denn es war seit
urliltestcr Zeit im Lande Tlfßl eine einfache, primitive Holzschnitzerei bekannt, im ganzen
Alpengebiete liefert der Wald den Stoß" für fast alles Geriithe und das Schaitzmesser ist