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Prof. Reber: Es lässt sich der Zustand mit zwei Worten sagen: an
den Polytechniken ein befriedigender, an den Universitäten ein durchaus un-
befriedigender.
Prof. Woltmann: Die Schweiz ist in diesen Dingen mit einem guten
Beispiel vorangegangen. Sie hat einen Lehrstuhl in Zürich begründet, den
erst Burkhardt, dann Liibke inne gehabt, und auf dem wir jetzt Professor
Kinkel sehen. Es sind dann andere Staaten mit ihren Anstalten gefolgt.
Zuerst Stuttgart, wohin 1866 Lübke berufen worden ist. Die nächste Beru-
fung war die nach Carlsruhe 1868, wo ich hinberufen wurde. 1869 kam
Prof. Reber nach München. Allrnälig ist auch an anderen Stellen in der-
selben Weise vorgegangen worden. Jetzt ist das Fach eigentlich vertreten auf
allen polytechnischen Schulen des deutschen Reiches und der Schweiz, mit
Ausnahme von Preussen, wo hier und da allerdings Kunstgeschichte gelehrt
wird, nicht aber als Hauptfach besteht. Zu Aachen wurde ein Architekt beauf-
tragt, ein Gothiker, Prof. Tochtermann, den ich für keine Vertretung des
Faches halten kann. Sein Programm war sehr wenig versprechend, und an
schriftstellerischen Elaboraten ist mir von ihm nur sein Begleitschreiben für
einen Concurrenzentwurf zum deutschen Reichstagshause bekannt geworden,
das Alles eher als eine Empfehlung für eine solche Stellung war. Wenn es
auch dort nothwendig ist, eine besondere Schulung für die Praxis in einem
mittelalterlichen Stile zu organisiren, so ist es doch gerade dßwegen nöthig,
daneben auch von den andern kunstgeschichtlichen Erscheinungen eine unge-
färbte, vorurtheilslose wissenschaftliche Darstellung zu geben. In Hannover ist
auch ein Architekt - Hase - mit dem kunstgeschichtlichen Unterrichte beauf-
tragt. In Berlin vertrat der verstorbene Professor Eggers neben zwei anderen
Akademien das Fach auch an der Gewerbe-Akademie. Jetzt hat er einen
Nachfolger erhalten, dem abermals die Vorlesungen an allen drei Anstalten
obliegen. Aber noch ist keine ordentliche Professur für Kunstgeschichte an
der Gewerbe-Akademie errichtet. In Wien ist bekanntlich Prof. von Liitzow.
Wie es an den übrigen österreichischen Instituten steht, weiss ich nicht.
Die Stellung an diesen polytechnischen Instituten ist eine andere als an
den Universitäten. Die Anforderungen der Praxis stehen da im Vordergrunde.
An manchen Stellen pflegt die Architektur-Geschichte abgezweigt und beson-
deren Lehrern übertragen zu werden. Ich halte das für falsch. Aber beson-
ders das Eine ist hier zu berücksichtigen: Die Vertreter derjenigen Fächer, die
nicht technischer Natur sind, sind doch so recht da nicht zu Hause. Das
liegt in der Natur der Sache.
Anders verhält es sich nun mit der Vertretung der Kunstwissenschaft an
den Universitäten. Hier und da hat ein Privatdocent oder ein ausserordent-
licher Professor übernommen, das Fach zu vertreten. So wirkten lange Zeit
hindurch sehr anregend Waagen und Guhl in Berlin, denen beiden ich sehr
viel verdanke. Aber sonst ist die allgemeine Kunstgeschichte selten in der
rechten Stellung durchgedrungen. Wir haben ein Beispiel, dass ein Mann
ersten Ranges, Springer, es verstand, Methode in die Sache zu bringen und
die Disziplin Jahre lang glänzend und erfolgreieh schon an der' dritten Hoch-
schule zu vertreten. Wir wissen, wie in Oesterreich vorgegangen wurde, wie
Hofrath von Eitelberger das Fach eine lange Reihe von Jahren vertrat. Schlimmer
ist es bestellt an allen übrigen Universitäten des deutschen Reichs. Die Schweiz
selbst ist besser daran. Ein ausserordentlicher Professor ist in Zürich, Burk-
hardt in Basel; leider liest er nur noch sehr selten kunstgeschichtliche
Collegia. .
Die Nothwendigkeit, Lehrstühle zu begründen, wird jedenfalls immer mehr
erkannt werden. Es gehört das Fach an die Universitäten um seiner selbst