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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe IX (1874 / 106)

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Geschlechtes, das unter mildem Himmel sehr frei in wenigen, weichen, 
weiten Gewändern sich bewegt, wirklich eine vollkommenere natürliche 
Entfaltung seiner freien Oberfläche hatte, als bei uns, wo die fester um- 
hüllenden Kleider ihn gewöhnlich wie eine zweite Haut umschliessen. 
Sollten wir nicht in dem Studium der Anatomie gerade ein Mittel 
haben, das den Mangel an fortwährender directer Naturbeobachtung zu 
ersetzen im Stande ist? 
"Das Studium des Muskelmannesu, sagt Diderot, "hat ohne Zweifel 
seine Vortheile, aber sollte nicht zu fürchten sein, dass dieser Geschun- 
dene beständig in der Einbildungskraft bleiben, dass der Künstler auf der 
Eitelkeit beharren werde, sich immer gelehrt zu zeigen, dass sein verwöhn- 
tes Auge nicht mehr _auf der Oberfläche verweilen könne, dass er trotz 
der Haut und des Fettes immer nur den Muskel sehe, seinen Ursprung, 
seine Befestigung, sein Einschmiegen? Wird er nicht alles zu stark aus- 
drücken? Wird er nicht hart und trocken arbeiten? Werde ich nicht den 
verwünschten Geschundenen auch in Weiberfiguren wiederfinden 3a 
Es ist ein aus älterer Zeit stammendes Vorurtheil, dem Sie auch jetzt 
noch zuweilen unter Künstlern begegnen können: eine menschliche Figur 
habe Anatomie, wenn die Oberfläche derselben möglichst hügelig gebildet 
sei. Unverstandene sinnlose Wülste an einer menschlichen Gestalt anzu- 
bringen, deren Bedeutung dem Künstler ebenso unklar bleibt, als sie seiner 
Figur, wenn sie plötzlich mit dem lfauche des Lebens beseelt würde, eine 
wunderliche Last wären, -- mit dem guten Willen, ihr einen Ausdruck 
von Kraft zu geben. heisst doch der Anatomie gerade entgegen arbeiten. 
Ein verständiges zu scharfes Modelliren der Oberfläche mag zuwei- 
len nicht ohne gute Absicht geschehen, auch nicht ohne Wirkung blei- 
ben -_ wo es dem Gesarnmteindruck, den der Künstler beabsichtigt, zu- 
wider ist, wird er es wohl, trotz seiner anatomischen Kenntnisse, zu ver- 
meiden wissen. Gehen wir davon aus, dass der Künstler den Leichnam, 
den er studirt, beleben soll, dass er bei einer richtigen Auffassung _des 
Lebens naturgemäss niemals in den Fehler einer Auflösung der wunder- 
baren Harmonie des ganzen organischen Gefüges verfallen wird, so er- 
scheint damit die Befürchtung, als könnten ihn anatomische Kenntnisse zu 
einer den Kunstzwecken widersprechenden Hervorhebung der anatomischen 
Details verleiten, ziemlich in die Ferne gerückt. 
Es ist viel darüber gestritten worden, inwieferne man die mensch- 
liche Gestalt idealisiren könne, beziehungsweise müsse. Eine Idee des 
menschlichen Körpers gibt es nicht. ich kann mir wohl einen allen An- 
forderungen der Schönheitsgesetze entsprechenden menschlichen Körper 
denken - dieser liegt aber nicht ausser unserer Erfahrung - er ist nicht 
etwa nach einer Idee der menschlichen Gestalt gebildet, sondern entstan- 
den aus mannigfachen Beobachtungen, Vergleichen, Erfahrungen. Alles 
Idealisiren des menschlichen Körpers kann nur auf einem Abstrahiren aus 
Naturbeobachtungen beruhen. Dies ist nicht etwa so" zu deuten; "Der
	        
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