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Ein anderer Wandkasten aus dem gleichen Besitz (Nr. 179) stellt
uns mit gemischt gothischen und Renaissancemotiven den .Uebergang
aus der einen Kunstperiode in die andere dar. Man möchte indess nicht
blos gemischten Styl und gemischten Geschmack, sondern auch verschie-
dene Hände daran wahrnehmen, so dass man sich des Eindruckes nicht
erwehren kann, als ob die drei Einheiten von Zeit, Ort und Idee erst
später mit einiger Kunst und Gewalt an diesem Stücke hergestellt seien.
Vortreffiich sind dagegen die heidlen grossen, ebenfalls neu hinzugekom-
menen Wandkästen Nr. x77 und x78 (gleichfalls Eigenthum der Herren
Bourgeois)", deutsche Renaissancearbeiten aus der Mitte oder der zweiten
Hälfte des 16. Jahrhunderts. Beide sind offenbar, wie die kleinen land-
schaftlichen, mit religiösen Figuren staflirten Reliefs in den Füllungen
erkennen lassen, des gleichen Ursprungs und bilden in Grösse und in
ihrem ausgezeichneten Bau Seitenstücke, obwohl der obere Theil insofern
Verschiedenheiten bietet, als er bei dem einen zurücktritt und das Haupt-
gesims von drei Karyatiden getragen wird. Dieses reizende Motiv der
architektonischen Construction, das wir sehr häufig an den Kästen unserer
Ausstellung finden, ist der heutigen Schreinerei gänzlich unbekannt. Schon
das 18. Jahrhundert hatte es aufgegeben.
Auch aus dem Besitz des Architekten Bäumer, Erbauer des Nord-
westbahnhofes, sind ein paar gute Möbelstücke hinzugekommen, ein grosser
Wandkasten aus der Mitte des 17. Jahrhunderts (Nr. 172) von der Art
jener früher von uns geschilderten, die architektonischen Bau mit einer
Zusammensetzung verschiedener Hölzer verbinden, und ein niederer, halb-
hoher Wandschrank (Nr. 183) aus dem Anfange des 17. Jahrhunderts von
ganz vortreßlichem architektonischen Arrangement. Auch diese Art von
Kästen, die dem Gebrauche mancherlei Bequemlichkeit bieten und mit ihrer
geringeren Höhe sich sehr gut zum Aufstellen verschiedener Gegenstände
verwenden lassen, ist heute ganz aus dem Gebrauche verschwunden.
Minder bedeutend erscheint, was an Sitzmobilien hinzugekommen ist;
doch sind hier zwei charakteristische Stücke zu erwähnen: eine grosse
Truhe mit geschnitztem Vordertheil, die als viersitzige Bank sophaartig
gedient hat (Nr. 180, Eigenthum der Frau v. Litt row), so wie ein Fau-
teuil mit gebogenen Armlehnen und Beinen und mit geschnitztern, mit
einem Mascaron verzierten Rücken, der ganz noch die Form aus dem An.
fange des 16. Jahrhunderts bewahrt hat, seiner Ornamentation nach aber
wohl erst etwas späteren Datums ist. Es ist Nr. 165, Eigenthum des Gra-
fen Nako.
Wie bei diesem Sessel, der eine für unser Auge etwas bizarre Form
hat und dennoch, mit Ausnahme der geschnitzten Rücklehne, von ratio-
neller Art ist, so mag es uns bei manchem anderen Stück der Ausstellung
ergeben, dass es uns schwer, seltsam, vielleicht auch unpraktisch vor-
kommt. Zum Theil mag das richtig sein, für unsere Lebensweise wenig-
stens, die sich seit der Urväter Zeiten mannigfach verändert hat; zum