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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe IX (1874 / 108)

Trübselig sah es aus mit den gelieferten Arbeiten vieler Volksschulen unserer 
Residenz; gerade an diese Institute stellte die Commission die einfachen und gerechten 
Ansprüche, die an iede gute Schule zu stellen sind, da Wien allem Bildungsstreben, 
allem gesitteten Verkehre, aller industriellen Entwickelung naher steht als die einsamen 
Dörfer tief drinnen im Gebirge, zu deren Schulen die Kinder oft stundenlang wandern 
müssen, und daher weder regelmsssigen Schulbesuch einhalten, noch das Gelernte üben 
können. Aus den letzteren Schulen wurde durchschnittlich so eingesandt, dass es deut- 
lich zu erkennen war, dass mit bestem Willen und Wissen das Beste geschickt wurde, 
was die Schule derzeit anzustreben vermag; aus Wien, aus der Residenz, welche durch 
28 Volksschulen vertreten ist, kamen einzelne Sendungen, die ein Sammelsurium von 
schmutziger Wasche und hässlichen Luxusarbeiten waren und einen Mangel an ästhe- 
tischem Gefühl bekundeten, dem wir in keiner der armseligsten Provinzschulen be- 
gegnet waren. 
Von den 60 exponirenden Schulen haben 15 sehr gute, 18 mittelrnassige und t7 
schlechte Arbeiten gebracht. ln Wien selbst und Wahring sind 3 Schulen sehr gut qua- 
liftcirt, tt mittelmässig, 15 schlecht; aus Salzburg brachten 3 Schulen gute und t Schule 
mittelmassige Arbeiten; Oberüsterreich ist durch z, Steiermark durch 3 gute Schulen 
vertreten; aus Mahren kamen 5 gute und z mittelmässige, aus Böhmen 3 gute und 4 
mittelmässige, aus Schlesien 4 gute und eine unbedeutende Schule, aus Tirol 2 gute und 
eine Schule, die sich aller Beurtheilung entzieht. 
Es wäre unbillig, wenn wir aus dem obigen Resume auf die Volksschulen Oester- 
reichs schliessen wollten, wenn wir aus der Einsendung von 60 Volksschulen irgend eine 
Folgerung auf den Unterricht gleicher Anstalten eines Landes ziehen wollten, das in ein- 
zelnen Bezirken, wie in Tione, in Cles, bis zu 80 solcher Schulen und darüber besitzt. 
Wir können eben nur die Mangel besprechen, wie sie hier zu Tage treten, die Arbeiten, 
die nicht in das Programm der Volksschule taugen und die Gründe, warum die mannig- 
fachen Fehler auftraten und wie dieselben zu vermeiden wären. 
Die Aufgabe des Arbeitsunterrichtes an der Volksschule ist, die kleine Schülerin 
zur Arbeiterin im besten Sinne des Wortes, zur Fachkundigen und nicht zur Stumperin 
zu erziehen; das Mädchen soll dort Achtung für die Arbeit seiner Hände gewinnen, sich 
über dieselbe freuen und sie als ein Lebensbedürfniss erkennen lernen. Diese Aufgabe 
kann die Schule nur erfüllen, wenn sie den localen Verhältnissen, den Ansprüchen des 
täglichen Lebens Rechnung tragt, und wenn sie die kleine Schülerin alles zu Lernende 
so tüchtig lehrt, dass sie es wirklich und selbständig üben kann. Das Lehrprogramm der 
Schule muss daher ein einfaches sein, so einfach wie wir es Eingangs hingestellt haben. 
Stricken, Nahen. Stopfen, Flicken und Merken sind die Kunstfertigkeiten, welche die Volks- 
schule begreifen soll und die sie mit gleichem Nutzen in der Residenz und in dem letzten, 
einsamsten Gebirgsdorf lehren wird. Wie nothwendig die Einfachheit des Programmes 
ist, haben die Einsendungen der exponirten Schulen bewiesen; wo der nichtssagende 
Kram der Luxusarbeiten zur Geltung kam, da waren die Nutzarbeiten schlecht, lose ge- 
arbeitet und gering an Zahl vertreten. Um jedoch einen bestimmten, wahrhaft nutzbrin- 
genden Unterricht einzuführen, um dem Unverstande der Lehrerinnen zu Hilfe zu kommen, 
muss vor Allem ein Lehrprogramm festgesetzt sein, ein Plan, an dem unabweislich 
festgehalten werden muss und der alle die Arbeiten begreift, welche den Bedürf- 
nissen des täglichen Lebens entsprechen. 
Bei den höchst tadelnswerthen Dingen, den lappischen Luxuserf-indungen, welche 
einzelne Schulen Wiens brachten, wurde es versucht, der Commission gegenüber geltend 
zu machen, dass die Eltern und Erzieher solche Arbeiten von ihren Kindern und der 
Schule forderten und dass die Lehrerinnen diesem Wunsche Rechnung tragen müssten. 
Eine solche Entschuldigung kann, bei ihrer Haltlosiglteit, wohl nur da zur Geltung kom- 
men, wo kein Lehrprugramm existirt; da aber dies einmal festgestellt ist, so hat die 
Lehrerin daran zu halten wie an einem unverbrüchlichen Gesetze. Auch die Arbeitsschule 
muss so gestaltet sein, dass sie den Eltern imponirt und dass diese keinen Eingriff in 
ihren Gang wagen; und dies ist nur durch Ordnung, durch strenges Einhalten des ge- 
gebenen Lehrplanes möglich. Dass sich der Mangel dieses Einhaltens nicht blos in den 
grossen Städten, sondern auch in den Schulen am Lande geltend macht, ist aus den Be- 
richten zu ersehen, die wir aus Tirol, aus Karnthen in Händen haben. Aus diesen ist 
ersichtlich, wie schwer die Lehrerinnen durch die Planlosigkeit des Unterrichtes mit den 
an sie gestellten Anforderungen zu kämpfen haben. Jedes Kind bringt ein anderes Ar- 
beitsmaterial zur Schule; das eine strickt, das andere hakelt, das dritte stickt, naht, macht 
Filetguipure, Frivolitaten u. s. w., ie nach dem Gelüste der Kinder und den Ansprüchen 
der Eltern; natürlich werden diese Arbeiten alle schlecht gemacht, da die Lehrerin den 
chaotischen Vorgang nicht übersehen kann, und die Schulstunde geht vorüber, ohne dass 
die Schülerin in ihren Kenntnissen um eine Haarbreite weiter gerückt ist. 
Dem Zeitausmasse und den Arbeitszweigen nach muss ein feststehender Lehrplan, 
natürlich den localen Verhältnissen einzelner Provinzen und einzelner Landstriche ange-
	        
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