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nent sehr gesucht. Mit dem Jahre 1824 erlosch jedoch das Brevet des
ebengedachten englischen Fabrikanten, und alle Classen der Bewohner
Nottinghanfs warfen sich jetzt mit einer krankhaften Hast auf Anferti-
gung von Tüllspitzen. Es würde bei Gelegenheit der vorliegenden kurzen
Uebersicht über die Spitzenfabrication zu weit führen, nachzuweisen, wie
die patentirte Maschine des Engländers Heathcoat auch nach Frankreich,
trotz der strengen Ueberwachung von englischer Seite, übergebracht
wurde, und wie man auch in Frankreich, namentlich aber in der Vor-
stadt St. Pierre zu Calais, zu St. Quentin, Douay, Cambray Tüllspitzen
auf dem mechanischen Webstuhle anzufertigen begann"). Erst im Jahre
1837 wurde durch den neuen, von Jacquard erfundenen Stuhl und die An-
Wendung desselben auf Tüll es überflüssig, den englischen und französischen
Tüll (bobin) mit der Nadel zur Hervorbringung von Dessins zu besticken,
indem das System Jacquard es ruit Leichtigkeit gestattete, die verschieden-
artigsten Muster auf dem Webstuhl hervor-zubringen.
Durch den Jacquard'schen Stuhl in seiner Anwendung für gewebte
Leinen- und Baumwollenspitzen, besonders in seiner Vervollkommnung,
die er auf englischem Boden gefunden hat, ist nun in neuester Zeit eine
vollständige Revolution auf dem Gebiete der Spitzenindustrie einge-
treten. Die früher so hoch geehrte Kunst der Spitzenmanufactur,
die, wie eingangs angedeutet worden ist, an Königshöfen, in Bur-
gen und Schlössern, in Patrizierwohnungen und Klöstern, nicht we-
niger aber auch in den letzten Jahrhunderten von einer fleissigen
Landbevölkerung in verschiedenen Districten Frankreichs und Deutsch-
lands mit Hingabe und Ausdauer als einträgliches Kunsthandwerk be-
trieben wurde, hat in den letzten Jahren den platten und geistlosen Er-
zeugnissen von meistens in Baumwolle gewebten Spitzen des Jacquard-
schen Stuhls weichen müssen. S0 ist es gekommen, dass man heute,
sowohl für kirchlichen wie profanen Gebrauch in tändelnden, nichts-
sagenden Musterungen prahlendes Spitzenwerk im werthlosen Material
von Baumwolle überall da gewahrt, wo früher die kunstsinnige Hand in
den schönsten und gewähltesten Dessins, im feinsten Leinengespinust ge-
diegene Kunstwerke anzubringen wusste, die heute noch nach Jahrhun-
derten als Ueberbleibsel einer untergegangenen Kunstindustrie bleibenden
Werth haben, und die von Museen und Sammlungen nicht selten für
hohen Preis gesucht werden. '
Erst in jüngster Zeit hat sich bei dem Bestreben, das sich in allen
Kreisen geltend macht, die Kunst der freien Hand wieder zu emancipi-
ren von dem Druck und der Concurrenz der mechanischen Massenerzeu-
gungen, die Spitzen-Anfertigung in erfreulicher Weise als Kunstindustrie
') Diejenigen, die es inleressirt, sich hierüber des Nähercn zu unterrichten, mögen
das Einschhgende in dem Werke: Histoirc du tulle a1 des dunelles mecaniquea en Franc:
e! en Angleterre par S. Fergusnn Eis, Paris 1862, nachsehen.