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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe X (1875 / 112)

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Aquöducte ganze Wasserbäche zuleiteten, erstanden allenthalben Bader jeder Gattung in 
grosser Zahl. Damals entwickelte sich die Scheidung der Balnea, der Badeanstalten in 
der gewöhnlichen Bedeutung des Wortes, und der Thermen, die, über jenes Mass weit 
hinausgehend, wie jene des Caracalla und Titus, förmlich zu kleinen Städten anwuchsen 
und Mittelpunkte des geselligen Lebens wurden. Manche vornehme Römer brachten den 
ganzen Tag in jenen Thermen zu; es war da das Baden trotz seines Rafiinements zur 
Nebensache geworden. Spaziergange, körperliche Uebungen, Schauspieler, Declamatoren 
und Redner boten Zerstreuung und eigene Bibliotheken ermöglichten den Besuchern selbst 
ernster-e Beschäftigung. All' diesen Bedürfnissen entsprechend, hatte sich auch die Bau- 
weise dieser Raume ausgebildet, von den einfacheren älteren Bädern in Pompeji bis zu 
den riesigen Anlagen der Caracalla-Thermen. Professor Baumer hatte sich zur Erläuterung 
seines Vortrages grossartige, künstlerisch ausgeführte Ansichten und zahlreiche Grundrisse 
sammtlicher besprochenen Bauohjecte zu verschaEen gewusst und mit deren Hilfe gelang 
es ihm, ein klares, in das Detail eingehendes Bild von den Bestandtheilen solcher römi- 
schen Thermen zu entwerfen. 
Am zweiten Abende besprach er die Wiederaufnndung der riesigen Bnureste von 
den Titus- und Caracalla-Thermen im 16. Jahrhundert, dann die wiederholten Recon- 
structionsversuche seit Palladio und Scamoui bis auf unser Jahrhundert, da uns durch die 
gelehrten Architekten Cameron, Ponce, Piranesi und Bluet jetzt das Wesen jener Anstalten 
so ziemlich klargelegt ist. Nach einer eingehenden Schilderung von deren prunkender 
Decoration, welche selbst dem erfindungsreichen Raphael eine Fülle von Motiven zur 
Ausschmückung seiner Loggien im Vatican darbot, und nach Angabe der kolossalen Raum- 
verhältnisse jener antiken Musterbauten, deren Fortbestehen bis auf den heutigen Tag nur 
die Barbarei der folgenden Jahrhunderte verhindert hat, war leider das gewöhnliche Zeit- 
mass einer Vorlesung bereits weit überschritten. Prof. Baumer hatte sich überdies im 
Verlaufe seines Vortrages zu einzelnen kleinen Excursen, wie über das richtige Zusammen- 
arbeiten des Architekten mit dem Bildhauer und Maler, oder über die Wiener Bauweise, 
verglichen mit der römischen und der_ heutigen pariser Art, veranlasst gesehen. Nach 
alledem war er gezwungen, auf die Entwicklung der römischen Bäder im Orient, wo ihre 
wesentlichen Bestandtheile beibehalten wurden, nur im Fluge hinzuweisen. Von dort 
führte dieselben, aber mit bedeutend verbesserter Ventilation, der irische Arzt Pachter 
zuerst in seiner Heimat ein, von wo sie den Weg nach England und Deutschland, neue- 
stens auch zu uns nach Wien fanden. Der Hinweis auf die englischen Fabriksherren, 
welche in praktischer Würdigung der sanitaren Wichtigkeit von Bädern neben den Woh- 
nungen ihrer Arbeiter meist auc ein Badhaus errichten, sowie ein Appell an den Wohl- 
thatigkeitasinn der Oesterreicher, auch den ärmeren Classen das Baden möglichst zugäng- 
lich zu machen, und an die Architekten, bei Neubauten ja nicht auf die Anlage eines 
Badezimmers, als eines der wesentlichsten Erfordernisse eines Hauses, zu vergessen, 
schloss den beifallig aufgenommenen Vortrag. 
An den Abenden des 3., lo. und 17. December folgten dann die Vortrage des Re- 
gierungsraths v. Falke über "das englische Haus-i. Er hatte sich gerade dieses Thema 
erkoren, weil sich das englische Haus am meisten national, dem Boden, auf dem es er- 
wachsen, eigenthümlich, mit einer uns fremden organischen Gliederung entwickelt hat. 
Entgegen unserem Gesichtspunkte, die wir meist nur von der Strasse aus über die Schön- 
heit eines Hauses aburtheilen, waren bei der Ausbildung des heutigen englischen Hauses 
besonders dessen drei Haupteigenschaften massgebend: I. der abgeschlossene, private Theil 
der Gemächer, namentlich für den weiblichen Theil der Familie; 2. Trennung der Fa- 
milienabtheilung von den gesammten Räumen für Küche und Dienerschaft; 3. bequeme 
Verbindung der Räume bei der nothwendigen Absonderung. Von alledem findet sich 
natürlich in den ältesten Zeiten keine Spur und Falke gab in seiner bekannten lichtvollen 
Weise eine treüliche Darstellung von der geschichtlichen Entwicklung, welche das eng- 
lische Haus von seinen Anfängen her genommen hatte. Nicht die Villa der römischen 
Heerführer lieferte die Basis, sondern das nordische altsachsische Haus, wie es sich 
noch heute in der Heimat der eingewanderten Angelsachsen als grossraumiges, schmuck- 
loses Bauernhaus, blos vom Zimmermann gefertigt, vorfindet. 
Die Eroberung Englands_ durch die Normannen im eilften Jahrhunderte brachte 
hierin eine gründliche Veränderung zu Stande. Jene hatten in ihrem französischen 
Stammlande an den alten römischen Bauten das Bauen in Stein gelernt und in ihrer 
Eigenschaft als kriegerische Herren über ein stets kampfbereites Volk errichteten sie 
allenthalben im Lande feste Thurmburgen von mehreren Stockwerken, wie sich eine solche 
in dem weissen Thurm des Tower noch erhalten hat. Erst als die Zeiten sicherer, die 
Verhältnisse stabiler wurden, stie en sie von ihren genug unwohnlichen Burgen in die 
Ebene nieder und wandelten das ohnhaus ihrer angelsächsischen Wirthschaftsleute und 
Pächter, ihren eigenen höheren Lebensansprüchen entsprechend, um in der Zeit, da der 
normannische Styl in den gothischen überging und der specielle Geist des Mittelalters in
	        
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