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fullscreen: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 1. Jahrgang 1904/05

sich allein bedeutend sein. Denn da ist ein Teil nur Vor^ 
wand des anderen, und das Werk zerfällt in zwei Hälften, 
die kein Ganzes bilden. Man weiß bereits, daß der neue 
Monumentalbrunnen vor unserem Parlamente gemeint ist. 
In einem öffentlichen Garten, wo viele Liebespärchen 
spazieren, glückliche und unglückliche, steht ein anmutiger 
Brunnen, mitten im Teich, darin sich hoch aus den Binsen 
ein seltsames Liebespärchen erhebt, ein Triton und eine 
Nymphe. Die Liebenden, die hier vorüberwandeln, können 
sich, sofern sie es beachten, an dem satyrischen Widerspiel 
erfreuen. Auf sie blinzelt der Triton aus dem Schilfe; 
drückt die geraubte Nymphe, die sich schreiend erwehrt, an 
sich, und weit im Bogen speiend, höhnt er mit fratzenhaftem 
Grinsen herab. Was mir an diesem Brunnen bedeutsam 
ist, das ist der Wasserspeier. Es liegt nichts Widerspruchs^ 
volles oder gar Widerwärtiges darin, daß der Wasserstrahl 
aus dem Munde schießt, denn das Wasser ist des Tritons 
eigentliche Heimat. Dagegen wirkt es abstoßend, wenn irgend 
eine menschliche Figur, die nichts von dieser Amphibien^ 
natur besitzt, als Wasserspeier verwendet wird, wie man es 
an Brunnen der Neuzeit oftmals vorfindet. Ältere Kunst' 
epochen haben sich vor solchen Mißgriffen wohl gehütet. 
Die Gotik verwendete Wasserspeier aller Art, aber sie 
verwendete als Vorbild nur Wesen, deren Lebenselement 
das Wasser ist, oder sie erfand zu diesem Zwecke mit 
erstaunlicher Phantasie eine ganze Welt von abenteuere 
liehen Fabelwesen. 
Tiefe Zusammenhänge müssen sichtbar werden und jedes 
Kunstwerk soll ein reines Gefäß sein, des leuchtendsten 
Geistes erfüllt. O, ich kann mir denken, daß ein Künstler 
an allen Schätzen der Überlieferung vorübergehen mag, 
ohne auch nur einmal das Zauberwort zu sprechen: Berg 
Sesam, tu dich auf! daß er lieber in das Wesen der Dinge 
hinabsteigt, um aus ihm die Form heraufzuholen. 
Zu den Großen gehören immer nur solche, welche den 
Kreis der herkömmlichen Darstellungsmittel durchbrochen 
und der Natur neue künstlerische Ausdrucksformen ab' 
gerungen haben. 
Es mag schon als bemerkenswerter Versuch zur selbständigen 
und unabhängigen Formschöpfung gelten, wenn der plastische 
Künstler in einer Brunnenidee auf die großen Ernährerinnen 
der Brunnen deutet, auf die Wolken, die das erquickende 
Naß herabträufeln. Aus den Steinpfeilern stehen streng 
architektonische Gestalten oder scheinen aus dem Stein 
hervorzuwachsen, so hart und streng sind sie, und haben das 
Antlitz zum Himmel erhoben, lechzend, die Himmelsgabe 
herabzuflehen, und die hohle Hand strecken sie vor, den 
fallenden Regen aufzufangen. Alle Symbole sind in der 
Natur zu finden. Und alle hohe Kunst ist symbolisch. Auf 
dem Gipfel steht ein Werk, ein Brunnen, voll mystischer 
Weihe und Schönheit. Minnes Brunnen. Wir haben in 
Wien das Modell gesehen. Wer die Reinheit und Keusch' 
heit der Empfindung, die in diesem Werke liegt, erfaßt hat, 
wird den Eindruck nicht vergessen und um eine Offen' 
barung reicher sein. Architektur und Plastik sind hier zur 
Einheit verschmolzen, eines die notwendige Ergänzung des 
anderen. Die Architektur als Ausdruck der reinen Zweckdien' 
lichkeit, als Stufen und Brunnenrand, darauf in gleichen Ab' 
ständen, gleicher Haltung und gleicher Gestalt kniende 
Jünglingsgestalten sich erheben, die Hände um die eigenen 
Schultern gelegt, im ruhigen Schauen den Blick auf die 
Wasserfläche gebannt, darin das eigene Bild emportauchen 
muß. Sie sind das Symbol des ruhenden Wassers selbst, 
das die Schönheit der Schöpfung in seinem Spiegel auf' 
fängt, sie sind zugleich die Darstellung jener unendlich 
süßen und traurigen altgriechischen Legende des Narcissus, 
freilich in herbe asketische Sprache des gotischen Geistes 
übertragen. 
Uber Minnes Brunnen sowie über die einzigartige glückliche 
Aufstellung, die er vor ein paar Jahren in der Wiener Sezession 
gefunden hat, äußert sich in treffender Weise J. Meier-Graefe: 
„Hier konnte man ihn sehen und genießen, ganz einfach 
nur, weil man ihn in kleinem Raum für sich allein zeigte, 
den Brunnen als Brunnen auf stellte und seine Figuren in 
Nischen, in irgend eine, war es auch nur die primitivste, 
Beziehung zum Raum brachte. Da kam er zur Geltung ... 
diese absolut nichtssagende 
Nacktheit, bei der sich nichts, gar nichts denken läßt, dies 
absolute Schweigen aller hohen und niedrigen Dramatik, 
kein erbauliches Detail, keine Originalität—also was eigentlich? 
Ob nicht auf alle diese Fragen, die zuweilen wie flatternde 
Fledermäuse durch den schönen Tempel, wo der Brunnen 
stand, huschten, von dem Weiß der Figuren, von dem ewig 
Abgewendeten dieser Gottesruhe in den Gliedern so etwas 
wie eine Antwort kam? Ich habe biedere Leute solo eintreten 
gesehen, die ganz ernsthaft ergriffen waren, d. h. nicht recht 
wußten, wie, wo, warum, sich dann ängstlich umsahen, nach 
einem Bekannten suchten, und erst wenn sie ihn hatten, 
wenn das kommune Kommunistische ihnen die lederne 
Kraft gab, in den häßlichen Mißton der Entrüstung ausbrachen.“ 
Schöne Brunnen — das wäre eine Angelegenheit für die 
schnell anwachsende Stadt. Die Stadtväter mögen das 
bedenken. Die Römer gaben dem Volke nicht nur panem, 
auch circenses. Aber wir errichten ja Denkmäler. Um jeden 
Preis. Wir nehmen späteren Geschlechtern Aufgaben vor' 
weg, für die sich vielleicht einst größere Künstler fänden. 
Schöne Brunnen, das ist eine Aufgabe, bei der der Künstler 
nicht leicht daneben greift und bei der die Stadt ihre Freude, 
ihren Nutzen hat. Daß es auch der Stadt nütze, daran sollen 
wir zunächst denken. 
TRITON. 
NOCH HEBT SICH AUS DEM SCHILF DAS LIEBESPÄRCHEN, 
TRITON UND NYMPHE, HOCH IN DER FONTÄNE, 
DIE KLAGEND RAUSCHT, ALS RINNE TRÄN' AUF TRÄNE . . 
MIMOSEN TRÄUMEN VON VERSUNKNEN MÄRCHEN. 
VERGESSNE SCHWÜRE IN DEN LÜFTEN HÄNGEN, 
NOCH KNIRSCHT DER KIES VON UNSICHTBAREN TRITTEN, 
GESTALTEN KOMMEN DIE ALLEE GESCHRITTEN, 
DIE LEISEN ZUGES SELTSAM WIRR SICH DRÄNGEN. 
INDES DER MÜDE MANN AM TORE LEHNEND 
NACH ALL DEN TOTEN SEINER SEELE SEHNEND 
SICH UMBLICKT, BLINZT DER TRITON AUS DEN BINSEN, 
DRÜCKT DIE GERAUBTE NYMPHE, DIE SICH SCHREIEND 
ERWEHRT, AN SICH UND WEIT IM BOGEN SPEIEND 
HÖHNT ER HERAB MIT FRATZENHAFTEM GRINSEN. 
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