sich allein bedeutend sein. Denn da ist ein Teil nur Vor^
wand des anderen, und das Werk zerfällt in zwei Hälften,
die kein Ganzes bilden. Man weiß bereits, daß der neue
Monumentalbrunnen vor unserem Parlamente gemeint ist.
In einem öffentlichen Garten, wo viele Liebespärchen
spazieren, glückliche und unglückliche, steht ein anmutiger
Brunnen, mitten im Teich, darin sich hoch aus den Binsen
ein seltsames Liebespärchen erhebt, ein Triton und eine
Nymphe. Die Liebenden, die hier vorüberwandeln, können
sich, sofern sie es beachten, an dem satyrischen Widerspiel
erfreuen. Auf sie blinzelt der Triton aus dem Schilfe;
drückt die geraubte Nymphe, die sich schreiend erwehrt, an
sich, und weit im Bogen speiend, höhnt er mit fratzenhaftem
Grinsen herab. Was mir an diesem Brunnen bedeutsam
ist, das ist der Wasserspeier. Es liegt nichts Widerspruchs^
volles oder gar Widerwärtiges darin, daß der Wasserstrahl
aus dem Munde schießt, denn das Wasser ist des Tritons
eigentliche Heimat. Dagegen wirkt es abstoßend, wenn irgend
eine menschliche Figur, die nichts von dieser Amphibien^
natur besitzt, als Wasserspeier verwendet wird, wie man es
an Brunnen der Neuzeit oftmals vorfindet. Ältere Kunst'
epochen haben sich vor solchen Mißgriffen wohl gehütet.
Die Gotik verwendete Wasserspeier aller Art, aber sie
verwendete als Vorbild nur Wesen, deren Lebenselement
das Wasser ist, oder sie erfand zu diesem Zwecke mit
erstaunlicher Phantasie eine ganze Welt von abenteuere
liehen Fabelwesen.
Tiefe Zusammenhänge müssen sichtbar werden und jedes
Kunstwerk soll ein reines Gefäß sein, des leuchtendsten
Geistes erfüllt. O, ich kann mir denken, daß ein Künstler
an allen Schätzen der Überlieferung vorübergehen mag,
ohne auch nur einmal das Zauberwort zu sprechen: Berg
Sesam, tu dich auf! daß er lieber in das Wesen der Dinge
hinabsteigt, um aus ihm die Form heraufzuholen.
Zu den Großen gehören immer nur solche, welche den
Kreis der herkömmlichen Darstellungsmittel durchbrochen
und der Natur neue künstlerische Ausdrucksformen ab'
gerungen haben.
Es mag schon als bemerkenswerter Versuch zur selbständigen
und unabhängigen Formschöpfung gelten, wenn der plastische
Künstler in einer Brunnenidee auf die großen Ernährerinnen
der Brunnen deutet, auf die Wolken, die das erquickende
Naß herabträufeln. Aus den Steinpfeilern stehen streng
architektonische Gestalten oder scheinen aus dem Stein
hervorzuwachsen, so hart und streng sind sie, und haben das
Antlitz zum Himmel erhoben, lechzend, die Himmelsgabe
herabzuflehen, und die hohle Hand strecken sie vor, den
fallenden Regen aufzufangen. Alle Symbole sind in der
Natur zu finden. Und alle hohe Kunst ist symbolisch. Auf
dem Gipfel steht ein Werk, ein Brunnen, voll mystischer
Weihe und Schönheit. Minnes Brunnen. Wir haben in
Wien das Modell gesehen. Wer die Reinheit und Keusch'
heit der Empfindung, die in diesem Werke liegt, erfaßt hat,
wird den Eindruck nicht vergessen und um eine Offen'
barung reicher sein. Architektur und Plastik sind hier zur
Einheit verschmolzen, eines die notwendige Ergänzung des
anderen. Die Architektur als Ausdruck der reinen Zweckdien'
lichkeit, als Stufen und Brunnenrand, darauf in gleichen Ab'
ständen, gleicher Haltung und gleicher Gestalt kniende
Jünglingsgestalten sich erheben, die Hände um die eigenen
Schultern gelegt, im ruhigen Schauen den Blick auf die
Wasserfläche gebannt, darin das eigene Bild emportauchen
muß. Sie sind das Symbol des ruhenden Wassers selbst,
das die Schönheit der Schöpfung in seinem Spiegel auf'
fängt, sie sind zugleich die Darstellung jener unendlich
süßen und traurigen altgriechischen Legende des Narcissus,
freilich in herbe asketische Sprache des gotischen Geistes
übertragen.
Uber Minnes Brunnen sowie über die einzigartige glückliche
Aufstellung, die er vor ein paar Jahren in der Wiener Sezession
gefunden hat, äußert sich in treffender Weise J. Meier-Graefe:
„Hier konnte man ihn sehen und genießen, ganz einfach
nur, weil man ihn in kleinem Raum für sich allein zeigte,
den Brunnen als Brunnen auf stellte und seine Figuren in
Nischen, in irgend eine, war es auch nur die primitivste,
Beziehung zum Raum brachte. Da kam er zur Geltung ...
diese absolut nichtssagende
Nacktheit, bei der sich nichts, gar nichts denken läßt, dies
absolute Schweigen aller hohen und niedrigen Dramatik,
kein erbauliches Detail, keine Originalität—also was eigentlich?
Ob nicht auf alle diese Fragen, die zuweilen wie flatternde
Fledermäuse durch den schönen Tempel, wo der Brunnen
stand, huschten, von dem Weiß der Figuren, von dem ewig
Abgewendeten dieser Gottesruhe in den Gliedern so etwas
wie eine Antwort kam? Ich habe biedere Leute solo eintreten
gesehen, die ganz ernsthaft ergriffen waren, d. h. nicht recht
wußten, wie, wo, warum, sich dann ängstlich umsahen, nach
einem Bekannten suchten, und erst wenn sie ihn hatten,
wenn das kommune Kommunistische ihnen die lederne
Kraft gab, in den häßlichen Mißton der Entrüstung ausbrachen.“
Schöne Brunnen — das wäre eine Angelegenheit für die
schnell anwachsende Stadt. Die Stadtväter mögen das
bedenken. Die Römer gaben dem Volke nicht nur panem,
auch circenses. Aber wir errichten ja Denkmäler. Um jeden
Preis. Wir nehmen späteren Geschlechtern Aufgaben vor'
weg, für die sich vielleicht einst größere Künstler fänden.
Schöne Brunnen, das ist eine Aufgabe, bei der der Künstler
nicht leicht daneben greift und bei der die Stadt ihre Freude,
ihren Nutzen hat. Daß es auch der Stadt nütze, daran sollen
wir zunächst denken.
TRITON.
NOCH HEBT SICH AUS DEM SCHILF DAS LIEBESPÄRCHEN,
TRITON UND NYMPHE, HOCH IN DER FONTÄNE,
DIE KLAGEND RAUSCHT, ALS RINNE TRÄN' AUF TRÄNE . .
MIMOSEN TRÄUMEN VON VERSUNKNEN MÄRCHEN.
VERGESSNE SCHWÜRE IN DEN LÜFTEN HÄNGEN,
NOCH KNIRSCHT DER KIES VON UNSICHTBAREN TRITTEN,
GESTALTEN KOMMEN DIE ALLEE GESCHRITTEN,
DIE LEISEN ZUGES SELTSAM WIRR SICH DRÄNGEN.
INDES DER MÜDE MANN AM TORE LEHNEND
NACH ALL DEN TOTEN SEINER SEELE SEHNEND
SICH UMBLICKT, BLINZT DER TRITON AUS DEN BINSEN,
DRÜCKT DIE GERAUBTE NYMPHE, DIE SICH SCHREIEND
ERWEHRT, AN SICH UND WEIT IM BOGEN SPEIEND
HÖHNT ER HERAB MIT FRATZENHAFTEM GRINSEN.
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