Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde,
Herausgeber: Norbert Ehrlich.
19. Jahrgang. Wien, 1. November 1927. Nr. 20.
Echte und unechte SRemßrandts.
Vor einigen Jahren stellte der Amerikaner John
C. Van Dyke die aufsehenerregende Behauptung
auf, daß von all dem, was Rembrandt je gemalt hat,
nicht mehr als ungefähr dreißig Stücke erhalten ge
blieben seien. Van Dykes „Enthüllungen“ haben, so
schreibt der berühmte Rembrandt-Kenner Professor
Dr. W. Martin in der holländischen Zeitschrift
„Haagsch Maandblad“, bloß kurze Sensation in
amerikanischen Sammlerkreisen hervorgerufen und
diesen vierzehntägigen Erfolg verdankte van Dyke
vor allem der geschickten Art, mit der seine Mit
teilungen sofort in die Tageszeitungen lanciert wur
den. In Fachkreisen wurde dieses Buch kaum be
achtet, weil man gleich sah, daß der Autor nicht der
Mann ist, um das komplizierte Problem, was echte
Rembrandts und was Schülerarbeiten seien, zu lösen
und daß ein System wie das seine, das fast gänzlich
auf der Vergleichung von Photographien beruht und
zu wenig auf wiederholtem Studium der Kunstwerke
selbst, zu Absurditäten führen muß. Und doch ist
Van Dykes Buch als Erscheinung kennzeichnend. Es
ist der Schrei eines der Zahllosen, die mit Recht emp
finden, daß noch immer zu viel Rembrandt zuge
schrieben wird, Werke, die er nie gemacht hat. Daß
dieser Schrei aus dem Land kommt, das vor allem in
früheren Jahren von der Plage der Bilderfälschungen
heimgesucht wurde, braucht uns nicht zu verwundern.
Werden denn wirklich noch so viele Bilder irrtüm
licherweise als Werke Rembrandts bezeichnet? So
viele, wie Van Dyke meint, gewiß nicht. Aber doch
gibt es — in dieser Ueberzeugung steht der Verfasser
des Aufsatzes nicht allein — noch manche Spreu im
Rembrandt-Weizen.
Professor Martin beschreibt dann die Fort
schritte, welche die Rembrandt-Forschung in den letz
ten fünfzig Jahren gemacht hat. Dieser Fortschritt
wurde durch die Photographie, durch Reisen und
durch Ausstellungen gefördert. Dadurch wurde nicht
bloß die erste Gesamtschätzung möglich, sondern
auch eine Reihe noch unbekannter eigenhändiger
Werke Rembrandts entdeckt. Das eine wie das andere
bietet einen tauglichen Kern für weitere Unter
suchungen. Die Resultate der Quellstudien und der
ersten gut fundierten Stilkritik der letzten fünfzig
.Jahre haben uns die Kenntnis von mindestens fünf
hundert Bildern vermittelt, über deren Echtheit selbst
bei den skeptischesten Spezialisten kein Zweifel
herrscht. Dazu gehören in erster Linie die Werke, von
denen feststeht, daß sie bei Rembrandt bestellt wur
den (zum Beispiel die „Anatomie“, die „Nachtwache“,
„Claudius Civilis“) und jene, von denen bekannt ist,
daß sie schon zu Rembrandts Zeiten als seine Arbeiten
angegeben oder damals als seine Werke im Bild re
produziert wurden, außerdem jene, von denen dank
noch erhalten gebliebenen Entwürfen und Skizzen
mit Sicherheit gesagt werden kann, daß Rembrandt
ihr Autor ist. Endlich gehören hieher die Arbeiten,
die mit Rembrandts echtem Signum versehen sind und
nach der Meinung aller sehr gut in seine Kunstrevo
lution passen, wie sie sich aus den erwähnten histo
risch fundierten Bildern feststellen läßt.
Obwohl die Zahl der angezweifelten Rembrandts
nicht besonders groß ist, befinden sich unter ihnen
doch Meisterwerke wie zum Beispiel die „Elisabeth
Bas“. Sind diese Werke nicht von Rembrandt, dann
können sie - nichts anderes sein als Arbeiten von
Schülern mit oder ohne Hilfe des Meisters, Gemälde
von Nachfolgern, Kopien nach verlorengegangenen
Originalen oder Falsifikate. Es ist nun die Aufgabe
der Stilkritik, jeden dieser Fälle aufs neue zu unter
suchen, das Für und Wider zu erwägen und den
Zweiflern zu zeigen, warum das betreffende Gemälde
ein Rembrandt ist oder nicht. Eine der schwierigsten
Fragen betrifft die „schwachen“ Bilder, das sind jene
Werke, deren Charakter zu wenig kräftig ist oder die
Mängel aufweisen, die man bei Rembrandt nicht er
warten würde. Betrachtet man ein solches Bild mit
der vorgefaßten Ueberzeugung, daß Rembrandt nie
einen schwachen Augenblick gehabt hat, dann wird
man es ohne Gnade verwerfen. Nimmt man aber an,
daß auch er versagen konnte — und warum sollte
ihm nie etwas mißglückt sein? — dann wird man
ganz anders urteilen. Immer ist man in solchen Fällen
zum Schluß bloß auf die Pinselschrift angewiesen; ist
es seine Hand, die diese Proben hingesetzt hat oder
nicht? Und das gibt dann oft den Ausschlag. Aller
dings wird man von den schwachen Bildern bestimmt
diejenigen verwerfen müssen, deren Zusammenstel
lung Unkenntnis in Dingen verrät, die Rembrandt,
nach den als unbedingt echt zu bezeichnenden Wer
ken zu urteilen, gekannt hat. Fehler im einfallenden
Licht oder in der Raumwirkung, stümperhafte Grup
pierungen, das sind lauter Dinge, die in einem echten
Rembrandt nicht Vorkommen können. Bei seinen
Schülern und Nachfolgern, ebenso bei den Kopierern
und Fälschern sind diese Mängel zu erwarten. Und