ä:
Die Vernehmung der Sachverständigen fand im Reichskanzleramte
zu Berlin in den Tagen vom 3. bis 12. Mai 1875 statt.
Bei diesen Vernehmungen trat eine überraschende, kaum erwartete
Uebereinstimmung der Ansichten hervor. Mit geringen Ausnahmen sprachen
sich die Sachverständigen übereinstimmend dahin aus, dass der schleunige
Erlass eines Musterschutzgesetzes ein dringendes Bedürfniss für Deutsch-
land sei, dass das Zurückbleiben der deutschen Kunstindustrie hinter an-
deren Ländern wesentlich eine Folge der bisherigen gesetzlichen Schutz-
losigkeit industrieller Erzeugnisse sei und dass von dem Erlasse eines
Musterschutzgesetzes ein baldiger -und mächtiger Aufschwung der deut-
schen Industrie mit Sicherheit erwartet werden dürfe. Es wurde nament-
lich wiederholt auf das Bestimmteste betont, dass die deutschen Arbeiter,
Zeichner und Fabrikanten in geistiger Beziehung, wie schon ein Blick auf
die Meisterwerke früherer Jahrhunderte lehre, den Ausländern vollständig
ebenbürtig seien, dass sie aber ihre Fähigkeiten bisher nicht hätten frei
entwickeln können, weil ihnen der Schutz gegen unbefugte Nachbildung
entzogen gewesen sei. Die Künstler hätten ihre Kräfte bisher der Indu-
strie nicht zugewendet, weil sie von den Fabrikanten für ihre Mühewal-
tungen und fiir die Herstellung neuer und origineller -Muster und Modelle
keinen ausreichenden Lohn erhalten hätten, und die Fabrikanten wiederum
seien nicht in der Lage gewesen, die Künstler entsprechend zu honoriren,
weil ihre Fabricate keinen Schutz gegen unbefugte Nachbildung besassen.
Es wurde überdies hervorgehoben. dass ein solches Gesetz vom Stand-
punkte der Moral dringend geboten sei, indem es als sittlich verwerflich
erachtet werden müsse, dass Jemand das wohlerworbene Eigenthum eines
Anderen und dessen geistige Productionen sich unbefugter Weise aneigne
und den Urheber um den Lohn und die Früchte seiner Arbeit bringe.
Auch über die Einzelbestimmungen, welche in das zu erlassende
Gesetz aufzunehmen seien, sprach sich die Mehrheit der Sachverständigen
übereinstimmend aus und es bildeten daher diese Verhandlungen ein sehr
reichhaltiges und werthvolles Material für die künftige Gesetzgebung auf
dem Gebiete der Kunstindustrie, sowie des Muster- und Modellenwesens.
Mit Rücksicht auf diesesiErgebniss der iEnquete beschloss der Bun-
desrath -unter dem 4. Juni 1875: Das Reichskanzleramt mit Formulirung
entsprechender Gesetzesbestimmungen zu beauftragen.
Mit der Ausarbeitung der betreffenden Gesetze wurde Prof. Dr.
Da mbach betraut, welcher bereits an den Enquäteverhandlungen als
Commissarius des Reichskanzleramtes Theil genommen hatte.
Die Gesetzentwürfe wurden im September 1875 beendigt und unter
dem 25. September vom Reichskanzleramte dem Bundesrath zur Beschluss-
fassung vorgelegt.
Es waren:
I. ein Gesetzentwurf, betreffend das Urheberrecht an Werken der
bildenden Künste;