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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe XII (1877 / 143)

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(die Absolvirung in einem Jahre) erfahrungsmassig nur von solchen Aspiranten erreicht, 
welche bei ihrem Eintritte in das Seminar schon eine nicht unbedeutende Vorbildung im 
Zeichnen und eine gute Begabung besitzenu. Hierbei ist noch zu bemerken, dass eigent- 
lich das Berliner Zeichenlehrcr-Seminar - wegen des einjährigen Cursus - keine Schul- 
anstalt im gewöhnlichen Sinne ist; an dieser Anstalt gehen alle Curse gleichzeitig neben- 
einander her, keiner stützt sich auf den anderen. Der Eintretende hat - bei der ungeheuer 
grossen Zahl von wöchentlich 58 Stunden - alles gleichzeitig zu betreiben, sowohl Linear- 
zeichnen. Projectionslehre, Perspective, Licht- und Schattenlehre als auch die ersten 
Elemente des Freihandzeichnens, das Zeichnen und Componiren von Ornamenten, das 
Zeichnen des menschlichen Körpers und seiner Theile, das Zeichnen nach der Antike, 
Anatomie und Projectionslehre des menschlichen Körpers, Kunstgeschichte u. s. w. - 
eine total unmögliche Leistung; es existirt keine Vorprüfung und selbstverständlich findet 
auch keine Versetzung in höhere Curse statt. 
Wenn wir einen mindestens dreijährigen Cursus mit streng gegliedertem metho- 
dischen Lehrgange vorzuschlagen uns erlauben und fordern, dass niemand in einem höheren 
Cursus eintreten darf, den das Lehrercollegium nicht reif dafür hält, so verlangen wir 
damit nicht etwas Ausserordentliches; die Zeichenlehrer-Seminare in YVien und Budapest 
haben einen dreijährigen Cursus eingeführt, sogar mit einem zweijährigen Vorcursus 
für solche, welche ein gewisses Mass im Zeichnen noch nicht überwunden haben. 
Freilich wird nicht jeder einzelne Staat des deutschen Reiches ein derartiges voll- 
kommenes Zeichenlehrer-Seminar einrichten können. Es bliebe hier nur übrig, mit an- 
deren Staaten ein zweckmassiges Abkommen zu treffen oder die Zeichenlehrer auf den 
polytechnischen Hochschulen auszubilden, vorausgesetzt, dass noch einige wenige Spezial- 
curse für Zeichenlehrer an diesen Anstalten eingerichtet würden. 
Die Kunst-Akademien halten wir nicht für geeignete Anstalten zur Ausbildung der 
Zeichenlehrer, indem dieselben ganz andere Zwecke verfolgen; trotzdem müsste es mog- 
lich werden, dass diejenigen. welche eine Kunstakademie absolvirten, ebenfalls zur fach- 
lichen Prüfung zugelassen werden, nachdem sie auf kürzere Zeit als Hospitanten ein 
Zeichenlehrer-Seminar besucht haben. 
Ad 3c. 
Befähigung zum Unterrichte in drei Lehrfächern. 
Eine an sich sehr eingehende und tüchtige Specialfachbildung kann noch nicht als 
ausreichend angesehen werden für einen Lehrer an einer höheren wissenschaftlichen Lehr- 
anstalt. Einmal würde der Zeichenlehrer mit nur einseitiger Lehrbefähigung z. B. an 
Gymnasien keine hinreichende Beschäftigung finden können, indem - wenigstens vorläufig 
- die für einen ordentlichen Lehrer vorgeschriebene Stundenzahl nicht erreicht würde, 
dann aber hat man allgemein die Erfahrung gemacht, dass die Speciallehrer für einzelne 
Facher nicht di enigen Erfolge erzielen, die man wohl erwarten dürfte; auch kann ein 
Speciallehrer irgend eine Vertretung übernehmen. Wir verlangen deshalb - um eine 
Gleichberechtigung mit den anderen Lehrern fordern zu können - nicht nur die Facultas 
im Zeichnen sondern dieselbe noch in wenigstens zwei anderen Fächern. 
Wird die Lehrbefähigung für drei Unterrichtsfächer zugegeben, so möchte sich 
ausser der für Zeichnen sofort die Facultas für Geometrie empfehlen. Schon jetzt ver- 
langt man von einem tüchtigen Zeichenlehrer, dass seine Kenntnisse in der rein geome- 
trischen Wissenschaft grosser sind als die der augenblicklich an den deutschen Universi- 
täten ausgebildeten Mathematiker. Die Mathematik wird an den deutschen Universitäten 
äusserst einseitig gelehrt, es werden eigentlich nur Algebraisten ausgebildet; eine ganze 
Reihe von Universitäten hat keinen einzigen Lehrstuhl für reine Geometrie - nebenher 
wird ein kurzer Abriss der synthetischen Geometrie gegeben, selten ein wissenschaftlicher 
Vortrag über elementare Geometrie und an keiner Universität wird darstellende Geometrie 
gelehrt. Es ist deshalb gar nicht auffallig, dass sonst sehr tüchtige Mathematiker, ja sogar 
berühmte Universitätslehrer, so gut wie gar keine Raumanschauung haben. Der von der 
Universität entlassene Lehrer für Mathematik kann demnach die Geometrie nur nach den 
wenigen Erinnerungen aus seiner eigenen Schulzeit mit Hilfe der ihm von anderer Seite 
empfohlenen oder von ihm selbst ohne kritische Auswahl eingeführten Lehrbücher lehren. 
Ist es doch Thatsache, dass nur eine äusserst geringe Anzahl von geometrischen Lehr- 
büchern nach heuristischer Methode vorhanden ist. Das mag auch der Grund sein, dass 
die Abiturienten sowohl der Gymnasien als der Realschulen kaum nennenswerthe geo- 
metrische Kenntnisse besitzen. Die Lehrercollegicn der sarnmtlichen polytechnischen Hoch- 
schulen führen begründete Klage, dass die geometrischen Kenntnisse der zur Aufnahme 
Berechtigten äusserst mangelhaft sind, so mangelhaft, dass die Geometrie fast ohne jede 
Voraussetzung an diesen Anstalten gelehrt werden muss; die Raümanschauung ist ganz 
und gar unausgebildet geblieben. 
  

	        
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