habe ich als „bewusste Selbsttäuschung" definirt. Der Geniessende
gibt sich der Illusion hin, obwohl er weiss, dass ihr nichts Reales,
sondern nur ein Symbol zugrunde liegt. Diese Illusion zu erzeugen,
ist der nächste und unmittelbarste Zweck der Kunst. Sie hat Werte
zu schaffen, die das Gefühl der bewussten Selbsttäuschung erzeugen.
Welche Gefühle und Vorstellungen aber soll die Kunst mittheilen?
Damit kommen wir auf die Frage nach dem Inhalt, und hier ist es, wo
die Meinungen auseinandergehen. Man kann dabei zwei verschiedene
Wege, zwei verschiedene Theorien unterscheiden. Die eine bezeichne
ich als die der Tendenz, die andere als die des Ergänzungsbedürf-
nisses. Für die Tendenztheorie ist charakteristisch, dass sie der
Kunst eine bestimmte irgendwie begrenzte Zahl von Gefühlen als
Inhalt zuweisen will, und zwar mit der Absicht, dadurch den Willen
des Geniessenden nach einer bestimmten Richtung hin zu beeinflussen.
Die Ergänzungstheorie dagegen will die Kunst in Bezug auf die von
ihr darzustellenden und mitzutheilenden Gefühle überhaupt nicht
beschränken, sondern ihr alle Gefühle freigeben, weil die Kunst das
Leben ergänzen soll und die Gesammtheit aller Menschen unzählige
Gefühle zur Ergänzung ihres Wesens nöthig hat.
Die Tendenztheorie hängt aufs engste mit der Inhaltsästhetik
zusammen. Eine Ästhetik, die den Inhalt für das Ausschlaggebende
der ästhetischen Wirkung hält, muss nothwendig zur Tendenztheorie
führen. Denn sie fordert für die Kunst einen besonderen, sei es „erhe-
benden", sei es sonstwie lusterregenden Inhalt, und indem sie diesen
in die unmittelbare künstlerische Wirkung hineinzieht, unterstellt sie
ihn der bewussten Absicht des Künstlers, muss also auch annehmen,
der Künstler schaffe nicht, um einen rein künstlerischen Reiz zu
erzeugen, sondern um mit den Mitteln der Kunst einen bestimmten
Inhalt zur Anschauung zu bringen, das Gefühl des Geniessenden nach
einer bestimmten Richtung hin zu beeinflussen. Diese Beeinflussung
ist aber Tendenz, mag dies Wort auch noch so sehr vermieden und
die Einwirkung auf den Willen auch noch so weit abgewiesen werden.
Die Illusionsästhetik leugnet im Gegensatz dazu die Bedeutung
des Inhaltes für die künstlerische Wirkung oder will sie wenigstens
im Vergleich mit dem Reiz der Illusion sehr stark eingeschränkt
wissen. Nach ihr beruht die künstlerische Wirkung nicht in erster
Linie darauf, dass das Kunstwerk einen bestimmten „schönen" oder
„erhebenden" Inhalt darstellt, sondern dass es einen - beliebigen -
Inhalt schön, das heisst wahr, lebendig, intim, also wie Tolstoj sagen
würde, „ansteckend" darstellt. Demgemäss muss sie auch das Wirken-
wollen durch den Inhalt, das heisst die Tendenz verwerfen. Sie