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einen goldenen Boden hat, und nur minder begabtere Kinder in irgend
eine Carriere gedrängt werden, wo sie beim Schreibtisch mühsam, aber
wenigstens sicher ihr Leben fortfristen, ist es bei uns umgekehrt. Hat bei
uns ein Junge, der einer Familie aus dem Gewerbestand angehört, ein
grösseres Talent, so wird bei ihm der Ehrgeiz wachgerufen, er sei zu etwas
Höherem geboren und er wird dann in eine höhere Lehranstalt geschickt,
nach deren Absolvirung er durchaus keine Lust verspürt, ein Gewerbe zu
betreiben, oder das Geschäft seines Vaters zu übernehmen. Dieses specifisch
österreichische Vorurtheil, von welchem ein grosser Theil unseres Bürger-
standes eingenommen ist, entzieht dem Gewerbe mitunter die besten Kräfte.
Allerdings scheint es, dass sich ein Umschwung in vielen Kreisen des
Bürgerstandes vorbereitet. Die übergrosse Masse von jungen Ingenieuren,
Architekten und Aspiranten für Lehrerstellen und Beamtenstellen legt es
bereits vielen Eltern nah, das Kind für einen Gewerbs- oder Industrie-
zweig zu erziehen, aber im Ganzen ist diese Anschauung noch nicht
durchgedrungen, weder beim Gewerbestand, noch beim Bauernstand. S0
wird mir ein drastisches Beispiel erzählt aus einer gewerblichen, kleinen
Stadt Oesterreichs. Der Vater der Familie hat ein sehr gut rentirendes
Schuhmachergeschäft und betreibt es mit 12 Gesellen, er hat zwei Söhne
und mehrere Töchter. Keiner der Söhne will aber das Handwerk des
Vaters lernen, der eine ist ein kleiner Beamter bei der Eisenbahn geworden,
der Andere widmete sich dem Kaufmannsstande. Bei der Unbildung der
Gesellen haben die Töchter keine Neigung eine Heirat mit einem der-
selben einzugehen, und so ist das glänzende Geschäft in Gefahr unterzu-
gehen, wenn ein Unglücksfall den Familienvater trifft. Es wird überall
geklagt, dass die Lehrlinge und Gehilfen aus den unbrauchbarsten und
ärmsten Schülern recrutirt werden, und dass daher dem Gewerbestande
weder eine materielle noch geistige Capitalskraft zugeführt wird. Es würde
gewiss ein grosser Segen sein, wenn durch die Verbindung der Fachschule
mit der Volksschule oder durch die Einführung einer Arbeitsschule mit
der Volksschule bei den Eltern und Vormündern der Kinder die Neigung
wachsen würde, die Kinder für das Gewerbe zu erziehen und sie dem
Gewerbe zu erhalten. Diesem ungesunden Zuge eines grossen Theiles
unserer Bevölkerung ist es zuzuschreiben, dass der Zudrang zu dem
uZeichenlehrer-Bildungscurseu an der Kunstgewerbeschule des österr.
Museums so stark geworden ist, dass Massregeln getroffen werden mussten,
um die Ueberproduction von Lehrern zu hemmen. Statt sich einem
Kunsthandwerke hinzugeben, in der Kunstgewerbeschule zu lernen, um
durch eine tüchtige Arbeitsleistung sich das Brod zu verdienen, suchen
{manche arbeitsscheue junge Leute, unterstützt, theilweise auch aufgefordert
von ihren Eltern, den Lehrerberuf, um auf diesem Wege vversorgtu zu
werden, wie man sich in den betheiligten Kreisen ausdrückt, nicht be-
denkend, dass nur wenige Zeichner zum Lehrerberuf taugen. Auch der
grosse Zudrang zu den Cursen der Lehrer- und Lehrerinnenbildungsan-