BEILAGE
Nr. 16g der „Mittheilungen des k.k.Oesterr. Museums".
nöthigen Fertigkeitenrerworben haben können. Würde van Dyck ge-
zwungen gewesen sein, den heutigen Bildungsgang durchzumachen, um
mit dem 17. oder 18. Lebensjahre in eine Akademie einzutreten, so
würde er trotz seiner Genialität nicht im Stande gewesen sein das zu
leisten, was er in damaligen Zeiten geleistet hat. Was das Leben Paul
Potter's, Jan Weenix's und Lucas von Leyden's betrifft, so bin ich
über deren Jugendunterricht und künstlerischen Entwickelungsgang nur
so weit orientiert, um zu wissen, dass sie in frühen Jahren fertige
Meister waren; aber es ist ja möglich, dass meinen Gegnern Quellen zur
Verfügung stehen, diamir und wahrscheinlicher Weise auch meinen Fach-
collegen gänzlich unbekannt sind. lch führe dieses Beispiel literarischer
Production nur an, um zu zeigen, dass auf die Behauptungen von Herren,
denen eine gründliche Fachkenntniss fehlt, absolut kein Gewicht zu
legen ist, und dass deren Essays nur davon Zeugniss geben, welche
Oberflächlichkeit in der gegenwärtigen Literatur herrscht.
Es ist recht traurig, mit anzusehen, wie ganze Menschengenerationen
und ganze Ländergebiete kunsttechnisch zu Grunde gehen oder grosse
Rückschritte machen, weil im Gewerbestande die technischen Fertigkeiten
nicht in jungen Jahren erworben werden. Dass die gegenwärtige gar zu
lange Schulpflicht viel mit dazu beiträgt, unterliegt keinem Zweifel; dass
aber noch andere Umstände mitwirken, ist ebenso gewiss. Der Verfall des
lnnungswesens und der damit im Zusammenhang stehende Niedergang der
Lehrlingsbildung, die allzu ausgedehnte Gewerbefreiheit, die es Jedem ge-
stattet, ein Gewerbe auszuüben, auch wenn er selbst davon nichts ver-
steht u. s. f. sind lauter Umstände, die ihren Theil mit dazu beitragen.
die traurige Situation des Gewerbestandes zu schaffen. Das Handelsmini-
sterium hat gewiss sehr gut daran gethan, eine Reihe von Fachschulen
zu gründen, wo allerdings in sehr beengtem Kreise die echte Kunsttechnik
gelehrt wird und zwar von Männern gelehrt wird, die, wie es bei den
meisten Schülern der Kunstgewerbeschule der Fall ist, sehr genau wissen,
was für ein Unterschied zwischen der kunstgewerblichen Production frü-
herer Jahrhunderte und der Gegenwart vorhanden ist. Alle diese Fach-
schulen bemühen sich, die alte gute Technik in das moderne indu-
strielle Leben wieder einzuführen und den Wenigen diese Fertigkeiten
beizubringen, die sich in diesen Schulen befinden. Wie ganz anders aber
würde es sein und wie erfolgreich würden diese Schulen arbeiten können,
wenn sie mit der Volksschule verbunden wirkten und die Kinder in der
Volksschule schon sich gewisse Fertigkeiten aneigneten, die in der Fach-
1879. XIV. 16