Gottfried Semper in seinen Beziehungen zum Kunstgowarhe.
Vortrag, gehalten im Oesterr. Museum am 13. Novbr. 1879.
Von Bruno Bucher.
(Schluss)
Kant wünscht, dass unter diesem Gesichtspunkte einmal eine allgemeine
Geschichte möge geschrieben werden, Semper möchte die Museen zu Illu-
strationen dieses Entwicklungsganges. der Menschheit machen, zu Stätten
des Auschauungsunterrichtes nicht blos in einem oder einigen Zweigen der
bildenden Kunst, sondern in der Culturwissenschaft und Culturgeschichte.
Wieder ist es ihm darum zu thun, die Beziehungen Iund gegenseitigen
Wirkungen zwischen allen Arten menschlichen Thuns und Schaffens zum
allgemeinen Bewusstsein zu bringen.
Indem er nämlich seine Kritik gegen das System wendet, welches
überall eine Menge einzelner, ausser Verbindung unter einander stehender
Museen hervorgerufen, und dabei meistens ganze Kunstperioden und Kunst-
zweige ausgeschlossen hatte (wie z. B. die Kunst des Mittelalters, des
Barock und Roccoco, den Orient, die gesammte ornamentale Kunst), gelangt
Semper auf den Standpunkt Kants und verlangt Museen, welche, seinem
Ausdruck nach, Längenschnitt, Querschnitt und Grundriss der ganzen
Culturwissenschaft geben, das heisst zeigen müssten, wie die Dinge vor
Alters gemacht worden sind, wie sie in der Gegenwart in allen Ländern
der Welt gemacht werden, und warum sie, den Umständen gemäss, so
oder anders gemacht werden. Und wenn, wie er gern zugibt, es unmöglich
sein sollte, ein ideales Museum zu schaffen, welches gänzlich jener Forderung
entspräche, so wäre doch jede Einzelsammlung als ein Theil jenes grossen
idealen Museums anzusehen und zu organisiren.
Zu seinem eigentlichen Thema zurückkehrend führt Semper nun das
früher angedeutete System von vier Gruppen der gewerblichen Kunst
näher aus. .
Wie aus dem ganzen Gedankengange sich ergibt, so zeigen vollends
die weiteren Abschnitte, dass ihm keineswegs ein Museum vorschwebte,
welches seine Hauptaufgabe darin sehen würde, Originale anzusammeln
In diesem Punkte dachte er ziemlich ketzerisch. Er bezeichnet einmal als
ein Kennzeichen des wAfterrichters in der Kunste, dass dieser gewissen
gefälligen äusseren Merkmalen und Zeichen der Echtheit einer Sache mehr
Vertrauen zu schenken pflege, als ihrer wirklichen Vortrefllichkeit, zum
Beispiel an Kupferstichen gewissen Strichen oder Punkten, welche den
Copien fehlen; und zum Entsetzen eines anwesenden Amateurs äusserte
er ein andermal trocken, eine täuschend gemachte Fälschung sei ihm so
werth wie ein echtes Stück. Sein ideales Museum sollte das Charakteria
stische aus der Kunsttechnik aller Zeiten und aller Nationen in sich ver-
einigen, und dieses Ziel zu erreichen ist ja nur möglich durch Beschatfung
von Reproductionen, Abformungen, Abbildungen, Nachbildungen etc. Zu