172
5. Endlich bereichert sich der Darstellungskreis der Robbia-Schule-
unter den Augen und der directen Mitwirkung Andrea's - noch durch
einen wichtigen Zuwachs, den der Freifiguren. Allerdings erweisen
sich diese als ein zweifelhafter Gewinn für die Fayenceplastik, die nur
im Relief ihr volles Ausdrucksvermögen entwickeln kann. Sie hat nichts
Statuarisches in ihrem Kunstcharakter; es lässt sich nicht wegleugnen,
dass ihre freien Einzelfiguren waufthönernen Füßem stehen. Wir brauchen
uns nur der Maiolikastatuen der heil. Franciscus und Bernhard in der
Sacramentscapelle von S. Croce in Florenz zu erinnern; andere Beispiele
sprechen noch deutlicher. Es sind plastische Spielfiguren ohne Energie
in der Bezeichnung des Motivs. Eine höchst bedeutende Ausnahme ist die
Gruppe der Heimsu chung in S. GiovanniFuorcivitas zu Pistoja,
dem Fra Paolino herkömmlicherweise zugeschrieben, aber wahrscheinlich
ein Werk Andrea's. Dieses Werk ist so edel und vollendet, weil es
sich vom Reliefstil, der eigentlichen Sprachweise der Maiolikakunst, in
keiner Weise entfernt. Genau genommen ist die in der seelenvollen Ge-
berde und der Noblesse der Gewandung so herrliche Gruppe nur ein
vom Hintergrunde losgelöstes Relief, und in diesem Sinne mit großer und
sicherer Empfindung contourirt").
Ich habe den umfassenden Kunstbestand der Werkstatt Andrea's
nach Art eines Inventars aufgenommen, damit uns keine Richtung dieser
vielverzweigten artistischen Thätigkeit entgehen möge. Immerhin bleibt
da die Frage offen: wie weit reicht das entschieden Persönliche, das
genial Meisternde der ganzen Kunstweise, und an welchen Stellen häkeln
sich die Seitentriebe gleichfalls persönlicher Bestrebungen zweiten Ranges
an, die aber in den allgemeinen Schulbegriff aufgehen? Da ist es schließlich
am gerathensten, das so schön und reichlich Geleistete unbefangen zu
genießen, ohne sich allzu sehr durch die Frage nach der Herkunft
kritisch zu beunruhigen. Ist doch der künstlerischen Thätigkeit der
Robbia- Schule durchwegs die Bescheidenheit des Gattungscharakters als
Merkmal eigen, und diese schließt von Vornherein die schärfere Be-
tonung des Individuellen aus.
S0 geht es denn auch schwer an, die Werke dieser Künstlerfamilie
im Einzelnen zu charakterisiren, obgleich es für das hauptsächlich Be-
zeichnende in diesem Aufsatze zum Theile versucht wurde. Eine sorge
fältige Ueberschau und Gruppirung der Leistungen der della Robbia gibt
das höchst schätzenswerthe Specialwerk von J. Cavalucci und Emil Mo-
Iinier: wLes della Robbia. Leur vie et Ieur ouvres, d'apres des docurnents
inedits. Paris 1884.: Demjenigen, der an Ort und Stelle diese liebens-
') In der späteren Epoche der Robbia-Kunst tritt mehrfach die Büste auf, und
da begegnen wir vorzüglichen Leistungen. Wo die Majolikaplastik sich auf den geistigen
Ausdruck allein beschränken durfte, war sie stets im Vortheil. Hier wären z. B. die
schönen Apostelkopfe (gegenwärtig im Hofe der Akademie von Florenz) zu erwähnen,
welche Giovanni 1521. für die Certosa gearbeitet hatte.