Aber welche Verfchiebung hiftorifcher Tatfachen in dem Jahr*
hundert, das fo biftorifch fein wollte und es fo wenig war. □
Im ganzen 19. Jahrhundert waren die Dächer, die ein Manfard,
ein Cuvilliés, die die am Hofe der franzöfifchen Könige tätigen
Architekten beliebten, als überrbeinifcb, als franzöfifcb verpönt.
Tatfächlich ift jedenfalls ihre franzöfifche Herkunft biftorifch un
anfechtbar. Und beute wird das barocke Dach, darunter ver
ficht man befonders das franzöfifche Dach des 18. Jahrhunderts,
als wefentlich bodenftändig gepriefen. □
Neu ift alfo nur, daß die Künftler jetjt eine biftorifcbe Form,
die ihnen gerade befonders gut gefällt, nicht mehr nur gut an
wendbar ufw. nennen, fondern daß man fie je^t bodenftändig
nennt. □
Nacheinander wurden früher die Antike (!), dann ein Stil-
gemifch aller Zeiten, dann das Gotifche oder das Romanifche,
dann die Renaiffance als geeignet für untere Zeit und unter
Klima erklärt. Für wirklich und einzig altdeutfcb gilt noch
beute in den Ankündigungen der Trödler »die Renaiffance« der
achtziger Jahre — beute ift die Bauform, die im wefentlichen
italienifcbe und franzöfifcb gefcbulte Architekten einfübrten,
»beimifcher« als alles andere! □
Damals war der großen Herren Kunft und Gefcbmack förder
lich den Bauern, deren bemalte Häufer wir mit Max II. und
Friedrich Wilhelm IV. mit Recht bewundern. Jet^t aber wird
diefer, den Herren der Stadt abgeguckten bäuerifchen Kunft,
ein feierlicher Einzug in die Stadt bereitet. Man will bäuerifcbes
auf ftädtifches okulieren, wie ein wildes Reis auf einen edlen
Baum — alfo wie es die Stilkaprizen unter Max II. gewollt. □
Sind wir vielleicht doch noch ganz auf den behaglichen Wegen
des Jahrhunderts, das hinter uns liegt? Hat die Straße doch
vielleicht nur den Namen gewecbfelt? □
Oder bat man aufgehört, künftlerifcb hemmende und ein
engende Bauvorfchriften zu erlaffen? □
Lefcn wir nicht immer noch Sätje, die von einer Kenntnis
des wirklichen Verlaufs einer ftädtifchen Baugefcbicbte nicht
recht viel erkennen laffen? □
Heißt’s nicht auch beute noch juft wie »anno dazumal«: »werden
alle Bedürfniffe beachtet« - »wenn aus den örtlichen Bedürf-
niffen heraus« — »wenn die örtliche Überlieferung im Bauen
wieder lebendig wird«? □
Weßbalb denn nur immer die fcheinbar biftorifch argumen
tierenden Sätje - wenn fchon ein großer künftlerifcber Wille
als Leitung da ift? □
Erklärt ein fchöpferifcb ftarker Künftler das oder jenes für
fcbön oder wertvoll - werde icb’s ihm erft dann glauben, wenn
er’s biftorifch rechtfertigt? □
Aber charakterifiert nicht das den Schöpferifchen, daß er ein
Neues gibt, das gar nicht biftorifch fein will? Sind nicht die
Hauptdaten der Kunftgefchichte der ganzen Welt, Denkmale
neuer Richtungen, neuer Taten? □
Wer künftig Baugefetje fcbreiben muß - der hüte ficb vor
Argumentationen, die gefchichtlich von allen Seiten anfechtbar
bleiben. □
Aber ift das Jahrhundert nach der großen Revolution nicht
vielleicht deshalb fo konftant in Sackgaffen geraten, weit Gefetje
und Vorfcbriften und Programme die guten Gefichtspunkte ein
zelner Geifter allzu eng und allzu bald abfcbließen mußten? □
Hiftorifcbe Kurzficbtigkeit und gefcbmacklicbe Engherzigkeit
fchrieb alle jene Baugefetje, von denen hier die Rede, wie foziale
Engherzigkeit und Kaftengeift jene Kleiderordnungen für be-
ftimmte Stände und Gefchtechter für vergangene Jahrhunderte
fchrieb, über die eine neue Zeit ficb längft fo gründlich luftig
machte. □
Ob da nicht auch (wieder) eine gefund vorwärtsfehreitende
Zeit kommen follte, in der die Abfaffung rein formaler Bau-
vorfebriften für ebenfo überflüffig erachtet werden follte, wie
altertümliche Kleidervorfcbriften für die gegenwärtige Menfchbeit?
Doch kommt auch hier wohl das Wort zu feinem Recht: Jeder
Staat bat fcbließlicb die Regierungsform, die er verdient. - Die
Baukunft und die Baugefe^e des 19. Jahrhunderts waren ein
ander wert. □
* *
*
Gelingt es den kommenden Generationen der Künftler, eine
große neue, autochthone Kunft zu fchaffen, fo ift auch die er-
ftrebenswerte Einheitlichkeit da. □
Eine fo landeingeborene Kunft, wie es die griecbifche Kunft -
nur für die antike Welt - wie es die gotifche - nur für das
nordifebe Mittelalter war - braucht keine Gefetje zu großer ein
heitlicher Wirkung. □
Eine immer wieder retrofpektiv febaffende Baukunft, die braucht
freilich Zwang und Gefetje - erft eine wirklich neufchöpferifche
wird dem Ganzen Harmonie, ficb felbft die Freiheit erobern.
Es frägt fich nur - wann wird die Möglichkeit einer neuen
Tradition eintreten? □
GHRTENBHUmiSSTELLUNG IN DRESDEN 1907
D ie in der Zeit vom 4. bis 12. Mai ftattgefundene Gartenbau-
ausftellung bot eine neuerliche Beftätigung für die pflanzen«
teebnifebe Leiftungsfäbigkeit und zugleich für die künftle«
rifebe Unfähigkeit unterer Gärtner, die mit den an fich prachtvollen
Mitteln, den Rhododendren, Azaleen, Orchideen, Rofen in geradezu
barbarifcher Weife verfuhr. Die unleidig gefchmacklofe Häufung
köftlicber Farben und Pflanzengebilde zu tbeaterbaften Dekora-
tionsfeherzen und Panoramenmacherei fordert zur ftrengften Kritik
heraus; Landfcbaften wurden gezeigt, ein kaukafifches Bergtal,
ein brafilianifcher Urwald, wie diefe Landfcbaften niemals aus«
feben. Die gartenkünftlerifcben Verfuche in boriftifeben und
fremden Stilen, der Renaiffancegarten, der japanifche Garten, der
Kloftergarten, mußten an der Unfähigkeit ihrer Herfteller, fowie
an der grundfätjlicben Verfebltbeit folcber Stilimitationen kläglich
febeitern. Die ausgeftellten Gartenpläne lieferten den traurigen
Beweis, daß die Gartenbaufchulen in künftlerifcber Hinficht auf
dem tiefften Niveau flehen und äußerft reformbedürftig find. Ein
zelne fcbwache Verfuche zugunften des Hausgartens und der Blume
im Wobnraum waren zwar vorhanden, aber auch hier fehlte
jede Regung eines geläuterten Gefchmacks, der über das herkömm
lich Banale binausftrebt. Gartenmöbel und Gartenzieraten kamen
zum Vorfchein, die das wildefte darftellen, daß fich eine zügel-
lofe Induftrie leiften kann. Eine unfreiwillige Komik liegt auch
darin, daß die Ebrenpreife jenen Leiftungen zugedacht wurden,
die binficbtlicb des Gefchmackes auf der tiefften Stufe flehen.
Dresden genießt den Ruf der Vorkämpferfchaft in der modernen
Kunft. Die große Kunftausftellung vom Vorjahre bat die Hoff
nungen von ganz Deutfcbland auf diefe Stadt gerichtet. Hier gilt
230