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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe XII (1877 / 136)

über ein geistiges Mittelmass, wie es damals auch an anderen Akademien 
Mitteleuropa's herrschte, nicht hinaus. Wenn wir Werke von diesen 
Künstlern sehen, dürfen wir daher nicht an Thorwaldsen, Canova, Chri- 
stian Rauch, Dannecker denken, die in jener Zeit unbestritten einen ersten 
Rang einnehmen. Sie waren aber jenen Bildhauern überlegen, die, wie 
Marchesi und andere wälsche Künstler aus politischen Rücksichten ge- 
stützt wurden. In der damaligen Staatsweisheit schien es gelegen zu sein, 
die österreichische Kunst von dem deutschen Kunstleben so viel als 
möglich zu isoliren, ihre Zielpunkte so tief als möglich zu stecken, 
und die Italiener, so viel es ging, zu begünstigen. Allerdings kam den 
Italienern ihre höhere und allgemeinere gesellschaftliche Bildung sehr zu 
statten, und bezeichnend sind die Worte einer vornehmen Persönlichkeit, 
die ein massgebendes Votum bei dem Franzensdenkmal auszusprechen 
vermochte, als es sich darum handelte, 0b der Entwurf von Klieber oder 
jener von Marchesi zur Ausführung kommen sollte: "Es ist nicht möglich, 
den Entwurf eines so vornehmen und so gebildeten Künstlers, wie es 
Marchesi ist, unbeachtet zu 1355811." Ich führe diese Worte als charak- 
teristisch und zugleich als Warnung für alle jene jüngeren österreichischen 
Künstler an, die das Element der Bildung gering schätzen und sich mit 
den Erfolgen der Mache begnügen. Diese hat damals nicht ausgereicht 
und reicht heutigen Tages noch weniger aus; insbesondere bei akade- 
mischen Künstlern ist die Cultur des Gedankens unerlässlich. Es erziehen 
eben nicht nur die Leistungen, sondern auch die Zielpunkte des Strebens, 
nicht blos die Mache, sondern auch das Wort; den Bildhauern der älteren 
Generation stand sie nur in bescheidenem Masse zur Verfügung. Glück- 
licherweise sind an der heutigen Akademie diese Zeiten längst vergangen; 
aber manches geflügelte Wort früherer Tage wird noch in Künstlerkreisen 
fortgepflanzt. _ 
Wer aber die Bildhauerei in der damaligen Zeit richtig beurtheilen 
will, der muss die Wiener Verhältnisse in's Auge fassen. Die Plastik ist 
in gewisser Beziehung eine unpopuläre Kunst; nur wenige haben ein Ver- 
ständniss für die Formenschönheit, für das Charakteristische und für das 
künstlerisch Empfundene an derselben. Der deutschen Nation ist von 
Hause aus nicht jener Sinn für die Schönheit der Form gegeben, wie 
es bei den Italienern der Fall ist. Der Deutsche kennt das plastische Kunst- 
werk mehr aus der Lectüre als aus der Anschauung; die gröbsten Fehler 
bemerkt er nicht, weil sein Auge nicht gewohnt ist, die Gestalt zu sehen. 
Er bewundert die Antike mehr vorn Standpunkte der Doctrin als eine 
Emanation des weltbildenden Classicismus; ein plastisches Formgefühl hat 
er selten, und es wird dieses an ihm auch nicht herangebildet. Die An- 
tikensäle und die Museen der Gypsabgüsse werden sehr spärlich besucht; 
von Jugend auf wird ihm gepredigt, dass eine unbekleidete Gestalt anzu- 
sehen etwas Unanständiges sei. Dazu kömmt, dass die deutsche Nation 
von Hause aus keine schöne Nation ist; sie ist reich an charakteristischen
	        
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