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barkeitu nennen, gaben und handhabten Gesetze nicht immer nach Recht.
Nach ihrem Siege über dasbischöfliche Regiment waren sie über die Maßen
hochrnüthig geworden. Eine Strassburger Gesandtschaft an Kaiser Hein-
rich VII. nennt sich geschickt von den nHerren von Strassburgu und kann
nur mühsam überzeugt werden, dass der Herr von Strassburg einzig der
deutsche König sei. Und in Köln erklärten sie jenerzeit; es wäre für eine
Königstochter nicht das schlimmste, die Gattin eines reichen Kölner Kauf-
herrn zu werden. Geradezmverletzend und ungerecht aber war ihr Hoch-
muth gegen die Handwerker, die sie für unebenbürtig erklärten. Die
Rechtssprüche des Stadtrathes wurden immer parteiischer. Den größten
Theil der Abgaben hatten sie den Innungen aufgewälzt und gestatteten
doch keinen Einblick in ihre Finanzgebahrung. Ein großer Theil der
Handwerker gerieth in Noth und Schulden, woraus die Kaufleute und die
Juden, die sich zu ihnen hielten, enormen Gewinn zogen. Wenn die Ge-
werbe blühen sollten, dann mussten sie erst dieser Fesseln ledig werden.
Und sie wurden es. Das war damals, im 14.. Jahrhundert, die Zeit der großen
socialen Kriege. ln den italienischen Städten kämpfte der popolo minuto
gegen den popolo grasso, in Flandern erhoben sich die Bürger in Armeen
gegen den Adel, in der Schweiz die Bauern gegen die Landvögte, in
England zog die Armuth gegen den Reichthum zu Felde. In derselben Zeit
wüthen auch in den deutschen Städten die Kämpfe der Innungen gegen die
patricische Herrschaft, und die gräßlichen Judenmorde sind nur eine Episode
in diesem Kriege um Dasein, Recht und Geltung. Der Kampf endet
meist mit dem Siege der Zünfte. Sie erhalten nun Sitz und Stimme im
Rathe. Ihre Zunftmeister werden ab und zu zu Bürgermeistern gewählt.
Ihr Bürgerrecht ist voll und gleichwertig wie das der Anderen. Mit ihrer
Autonomie beginnt auch die Zeit ihrer höchsten Blüthe; es _ist das 14. bis
16. Jahrhundert. Und hier ist wohl der Ort, mit kurzenWorten ihrer eigen-
thümlichen Verfassung, ihrer Befugnisse und Verpflichtungen zu gedenken.
Als das 18. Jahrhundert mit seiner Ueberzeugung, man müsse die
Menschen einfach gewähren lassen, gegen die Zünfte auftrat, war der
vehementeste Vorwurf, den man gegen sie erhob, der, dass durch sie das
Recht der freien Arbeit verkümmert werde - und das Recht auf Arbeit
war doch das geringste, das man beanspruchen konnte. Dieser Vorwurf war
im i8.und igJahrhundert völlig gerechtfertigt. Die alten Zünfte des Mittel-
alters dagegen hätten ihn nicht verdient. Damals gab es keine geschlossene
Meisterzahl in einem Gewerbe, wo jeder Geselle erst das selige Hinscheiden
eines Meisters abzuwarten hatte. Damals musste zwar Jeder, der ein be-
stimmtes Handwerk ausüben wollte, in die betreifende Zunft eintreten, aber
dieser Eintritt war nicht durch unerschwingliche Bedingungen erschwert.
Allerdings musste jeder Zunftgenosse Bürger sein, musste Harnisch und
WaEen mitbringen, denn in der Zunft herrschte allgemeine Wehrpflicht,
und musste einen Beitrag zu kirchlichen Zwecken leisten, aber das Alles
war nicht exlusiv, und häufig genug wurde auch hierin Nachsicht geübt.