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dürften, wir könnten der alten, seit Jahrhunderten vom Staate, vom Hofe
und vom Adel geförderten Kunstbewegung Frankreichs gegenüber die
Wage halten. Frankreich ist ein reiches, auch geographisch glücklich situirtes
Land, Oesterreich ein relativ armes, das nur mit Einem Meere eine directe
Verbindung hat. In Frankreich ist jeder Franzose zugleich Patriot, in
Oesterreich sind gar viele Oesterreicher in erster Linie Czechen, Polen
oder Magyaren, und erst in zweiter Linie nennen sie sich Oesterreicher.
Als warmfühlender Patriot schützt der Franzose zuerst sein eigenes Land,
seine eigene Industrie. Der Oesterreicher ist nicht immer so patriotisch
wie der Franzose und hat Neigung, das Ausländische höher zu schätzen
als das Einheimische, und dies geschieht besonders in den vornehmen
Kreisen, in welchen sich schon seit den Zeiten Ludwig's XIV. die Meinung
eingebürgert hat, dass, wenn etwas gut sein solle, es französisch sein müsse.
Doch, wie ich schon früher erwähnte, haben wir in nächster Zeit eine
große Concurrenz auf dem Gebiete der Kunst-Industrie von dem Deutschen
Reiche zu erwarten. Im Deutschen Reiche arbeitet der Industrielle durch-
schnittlich um 30 Percent wohlfeiler als der Oesterreicher. Die Bemühungen
der deutschen Regierung, den Markt für die deutsche Waare zu sichern,
sind von Erfolg gekrönt worden. Das Deutsche Reich ist auf dem Wege,
sich volkswirthschaftlich vollkommen zu einigen und hat als Vertreter in
den auswärtigen Consulaten Männer, welche die deutschen Interessen mit
Einsicht schützen und fördern'). Während sich das Marktgebiet für deutsche
Waaren immer mehr erweitert, verringert sich dasselbe in Oesterreich
immer mehr, selbst im eigenen Lande. Die Missstimmung, welche unter
den Gewerbetreibenden Oesterreichs herrscht, ist auch durch die Er-
kenntniss hervorgerufen, dass das Marktgebiet, selbst innerhalb der Grenzen
der Gesammt-Monarchie, österreichischen Producenten immer mehr ver-
ringert wird. Wohl sucht man im Oriente den österreichischen Waaren
ein neues Absatzgebiet zu sichern und gewiss verdienen diese Bemühungen
die größte Anerkennung; aber noch wichtiger wäre es, den eigenen
Markt im Gesammtrei-che zu sichern und die Gemeinsamkeit
der volkswirthschaftlichen Interessen zu praktischer Gel-
tung zu bringen. Aber gegenwärtig sind wir diesem Ziele sehr ferne").
') Wir können nicht umhin auf die amtlichen Berichte der deutsch en
Consulate aufmerksam zu machen, welche im preußischen Reichs- u. Staatsanzeiger
und in der Nordd. A. Zeitung veröffentlicht werden. Sie sind ausführlich und auch für
österreichische L eser sehr lehrreich. Die uns jetzt vorliegenden Berichte dieses
Jahres aus St. Petersburg, Messina, Belgrad und Jerusalem sind ein wichtiger
Factor zur Forderung des deutschen Ausfuhrhandels.
") Ein beherzigenswerthes Wort hat jüngst General Türr gesprochen: -Das Ver-
haltniss Oesterreichs zu Ungarn darf ulcht- - das sind seine XVorte- wals ein solches
zweier gleichgiltiger Nachbarn angesehen werden. Die gegenseitige Apathie könnte nur
zum Ruine beider Lander führen, die beiderseitige Prosperitat sichere die Zukunft der
Monarchie: