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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe XVII (1882 / 196)

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physikalischen Farbenlehre für künstlerische Zwecke ausgesprochen, andererseits die Un- 
moglichkeitabetont, nach dem jetzigen Stande des Wissens bestimmte Regeln aufzustellen, 
oder auch nur aus de? Erfahrung und Uebung eine genügende Liste solcher Farben- 
verhindungen zu schaffen. Der Grund hierfür liegt insbesondere darin, dass die wahren 
koloristischen Reize und Feinheiten nicht in der Verbindung der primären, sekundären, 
tertiären Farben ruhen, sondern in den Abweichungen von ihnen, in den unzähligen 
Tonen und Tinten, die zwischen ihnen liegen. Diese zu finden und zu vereinen ist die 
Sache des Gefühls, des ausgebildeten Farbensinnes, und zur Bildung desselben wurden 
dann noch die Fundstätten des koloristischen Studiums angegeben. - Das, wie immer, 
auch diesmal sehr zahlreich anwesende Auditorium gab seine Anerkennung für die so 
gründlichen und belehrenden Ausführungen durch den lebhaftesten Beifall zu erkennen. 
Am 17. November sprach Dr. R. v. Reuß über Bildung des Farbensinnes durch 
Unterricht, Er verwarf in Vorhinein jene auf philologischem Grund aufgebaute Theorie, 
dass der Farbensinn von heute viel entwickelter sei als zum Beispiel zu den Zeiten 
Homer's, indem er den lrrthum auf philologischem Gebiete gnachwies und durch Vor- 
Weisung ägyptischer Farbentafeln aus der Zeit von zooo Jahre vor Christi Geburt das 
Unhaltbare jener These ad oculos demonstrirte. Er wolle auch nicht den lrrthum auf- 
kommen lassen, dass er die Farbenblinden dahin bringen würde, roth und blau, die sie 
als grau erblickten, als roth und blau zu erkennen. Er habe. führte Dr. Reuß aus, aus 
seiner reichen Erfahrung die Ueberzeugung geschöpft, dass der Farbensinn wie jeder 
andere Sinn ausbildungsfühig sei; er frage aber, wer hat je gehört, dass die Volks- oder 
Mittelachule etwas für die Ausbildung des Farbensinnes gethan habe? Es sei ihm auf- 
fallend gewesen, dass die männlichen Farbenblinden 3 Percent, die weiblichen dagegen 
nur V", Percent ausmachen, das heißt auf 3oo Männer kommt ein Farbenblinder, während 
eine Farbenblindc erst auf 3000 Frauen falle. Er meint, die Frauenwelt beschäftigt sich 
schon frühzeitig mit Farben, bei Stricken und Sticken, und vererbt sozusagen ihre ge- 
wonnene Fähigkeit. Er gab die Methode des Unterrichtes an und brachte eine Collection 
von Farbentafeln, die für diesen Zweck passen und von Magnus aus Breslau und von dem 
Lehrer Eichler aus Wien herrühren, zur Anschauung. Zum Schlusse forderte er das 
Auditorium auf, mit allen Kräften dahin zu wirken, dass der Farbensinn wenigstens in 
der Volksschule ausgebildet werde, da seine Bemühung auf diesem Felde bei den betref- 
fenden Schulbehörden keinen Anklang fand. Reicher Beifall wurde dern Vortragenden 
zu Theil. 
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Am a4. November folgte Custos Dr. Wickhoff mit einem stark besuchten und sehr 
beifällig aufgenommenen Vortrage über Michelangelo und die Antike. Er schilderte vor- 
erst in großen Zügen das Eindringen antiker Formen und Vorstellungen in die Boren- 
tinische Plastik, die einflußreiche Wirksamkeit Donatellds und das Zurücktreten des Alter- 
thümlichen in der zweiten Hälfte des I5. Jahrhunderts gegenüber der ersten. Hierauf wurde 
versucht, eine Darstellung von Bertoldcfs künstlerischem Kannen und Wissen zu geben, 
der aus der Zeit des Donalello als eifriger Apostel des Studiums nach der Antike zurück- 
geblieben wnr. Aus der Manier der Jugendzeichnungen des Michelangelo wurde nachge- 
wiesen, dass Domenico Ghirlandajo auf ihn ohne Einfluss geblieben ist, sondern dass eben 
Bertoldo als sein eigentlicher Lehrer zu betrachten ist. Der Einfluss des Polizian, so wie 
der Geist, der im Hause des Magnifico lebte, erganzren die Kunstübung nach antiken 
Formen, so dass keiner der gleichzeitigen Künstler eine Erziehung und Ausbildung ge- 
nossen hat, die ihn in so innigen Contact mit der Antike gebracht hätte. Es wurde nun 
zuerst die Centaurenschlachr eingehender betrachtet, ein Werk, aus einem Vorstellungs- 
ebiete herausgewachsen, aus dem einst Phidias und seine Schule ihre besten Inspirationen 
geholt hatten; hierauf jene Reihe von jugendlichen Gestalten aufgeführt, die theils in bloßen 
Nachrichten, theils als vollendete Marmorwerke, oder als Entwürfe in Zeichnungen auf 
uns gekommen sind, eine Reihe, die sich fast vollständig mit den Vorwürfen deckt, die 
Praxiteles sich aus der reichen Fülle von Gottergestalten gewahlt hatte, und ihr enger 
oder weiterer Zusammenhang mit alterthümlichen Vorbildern besprochen. lndem nun der 
Yortragende auf die früheste Jugend des Künstlers zurückgrif, zeigte er, wie sich schon 
bei dessen erstem Aufenthalte in Bologna der übermäßige Einfluss geltend machte, den 
Quercin auf ihn ausüben sollte, und der, nachdem er endlich in der Pietn vollständig 
durchgebrochen war, den Künstler nun für immer von der Antike abbrachte. An der Leda, 
an dem Apoll für Valosi, an der projectirlen Gruppe des Hercules und Orest wurde gezeigt, 
wie der Künstler in späteren Jahren, wenn ihm antike Stoffe aufgedrungen wurden, sich 
von den Formen, welche die Alten für die gleichen Gegenstände gewählt hätten, voll- 
kommen frei hielt, hingegen zu ihrer Veranschaulichung, mit geringer Aenderung, Formen 
aus den Kreisen wählte, die seine Phantasie gerade beschäftigten, bis er endlich im
	        
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