XII Die gegenyürtigenAufgaheu der Verwaltung des artistischen Bildungswesens.
Darum blickte man damals ungläubig und der zeitgenössischen Kraft misstrauend
auf die unverzagten Bestrebungen dieser Wenigen. die hingebenden Herzens und
hellen Blicks das von Allerhöchster Stelle. angeordnete Werk durchzuführen begannen.
Rasches Wurzelfassen der jungen Schöpfung des Vtiienei- Museums, dann steigende
Erfolge der österreichischen Kunstindustrie haben seither alle Zweifel besiegt. Der
Einfluss der Sammlungen, der Bibliothek, der Vorlesungen, der Reprodnctionevn
und Veröffentlichungen des Museums auf das Publicum wie auf Künstler und
Industrielle ist festbegründet, die Einwirkung der Kunstgewerbeschule auf den
jungen Gewerbe- und Lehrerstand im Wachsen, die Wirksamkeit der chemisch-
technischen Versuchsanstalt im Aufblühen. Bereits im Jahre 1867 zeigten sich auf
der Pariser Welfaustellung die ersten Früchte solcher schöpferischen Thätigkeit;
187i gab sodann die Vollendung des Neubaues des Museums Anlass die fortschrei-
tende Entwicklung des heimischen Kunstgewerbeüeisses der Bevölkerung vorzu-
fiihren; 1373 errang sich die aufstrebende österreichische Kunstindustrie auf der
Wiener Weltaustellung einen achtbaren Platz neben den älteren Industrien der
höchst entwickelten Culturländer und erwies sich in ihren Werken den Leistungen
Deutschlands vielfach überlegen. Diese ehrenvolle Stellung innerhalb des deutschen
Culturgebietes behauptete sie auch 1876 in München.
Die österreichische Unterrichtsverwaltung kann den Sachverhalt nicht richtiger
feststellen, als wenn sie ein Urtheil von unbetheiligter '- schweizerischer - Seite
hier zur Kenntniss bringt. Ü Ein „Bericht des kaufmännischen Directo-
rinms (Handels- und (iewerbekanlmer) in St. Gallen über die Münchner
Jubelausstellung 1876," verfasst von den Delegirten des Directoriums, welche
die Aufgabe hatten, die Bedeutung dieser Exposition für die gewerblichen Ver-
hältnisse und Bedürfnisse ihrer Heimat zu prüfen, spricht es aus, „dass Österreich
') In der Hauptsache stimmen alle von unpnrtheischen Sachverständigen geäussenen Ur-
thcile überein. Insbesondere über die Rolle, welche das österreichische Museum und die Kunst-
gewerbeschule in der Geschichte moderner Kunstindustrie spielt, gibt es kaum diderento Meinungen.
So nennt der Architekt de Kriiyff zu Amsterdsm in seiner Schrift: „De nederlandsche
Künst-Nyverhcid" (Kunstindustrie) Amsterdam 1876, das österreichische Museum und die
Kunstgewerbeschulc den Lichtquell, welcher seine belebenden Strahlen durch die gunze österrei-
chische Monarchie ausbreite, und schreibt diesem Institut den Hauptnntheil an der Entwicklung
der österreichischen Kunstindixstrie seit 1862 zu, eine Entwicklung; welche Österreich befähigt
habe, 1873 nicht nur mit den fortgeschrittensten Nationen um den Preis zu ringen, sondern es
in der Anwendung wahrer, gesunder Kunstprincipien den meisten andern zuvorzuthun. Er empfiehlt
den Holländern eine Anstalt ganz nsch dem Vorbilde des österreichischen Museums zu gründen.
In Übereinstimmung hiemit äussert sich Professor Estlnnder in Helsingfors in den
beiden Schriften: „Konsten och industrie hittils och hädmefter" (Kunst und Kunstindustrie bisher
und fortan) Helsingfors 1871, und „Vid konstnitens härdar i Tysklund, Österrike, Schweiz och
Belgien." (An den Herden des Kunstileisses in Deutschland, Österreich, Schweiz und Belgien)
Helsingfors 1875.) Er schildert eingehend Organisation und Wirksamkeit des Instituts, das er die
unentbehrliche Vermittlungsanstslt zwischen Kunst, Wissenschaft und Industrie nennt. Im Vereine
mit der heimischen Architektur habe das Museum wesentlich dem „eigenthumlichen, fsrbenreichen,
suftigen und ein wenig orientalisirenden Wiener Styl" zur Entwicklung verholfen.
Stimmen uns kleinen Volksgebieten, wie die Schweiz, Holland, Finnland verdienen
Beachtung, weil von diesen Ländern aus die Cnlturprocesse in den groweu rivalisircnden Stuten
Europnls nsturgemäss mit verhälmissmässiger Unbefsmgenheit angesehen werden. Darum werden
gerade solche Urtheile hier