L Entwicklung des gewerblichen mid mercantilen Unterrichts.
ihnen solche erste Stelle anerkennt, muss nachdrücklich betont werden, nachdem
von hochachtbarer Seite in dieser Hinsicht Zweifel geäussert worden sind, Zweifel,
zwar nicht an der Wichtigkeit und Leistungsfähigkeit solcher Anstalten im
Allgemeinen, wohl aber - wenn der Ausdruck erlaubt ist -- an derTragfnhig-lreit
des österreichischen Bodens.
Ein den akademischen Kreisen nngehörender und dem gewerblichen Schulwesen
principiell freundlich gesinnter Redner hat nämlich solchen Zweifeln in der
163. Sitzung der S. Session des hohen Abgeordnetenhauses Worte geliehen, indem
er (Pag. 556i} des sten. Prot.) sagte: „Ich fürchte, dass die Projecte, welche von
Seite der Unterrichtsverwaltung (hinsichtlich der Staatsgewerbeschnlen) geplant
werden, viel zu weitgehend sind und dass man eine sehr grosse Anzahl von der-
artigen höhern (iewerbeschulen, wie ich sie nennen will, bei uns ins Leben rufen
will, ohne dass - das ist meine persönliche Überzeugung - hiefür ein Bedürfniss
in den weitesten Schichten der Bevölkerung vorhanden ist".
Dieser Satz enthält ein Missverständuiss in einem so wesentlichen Puncte,
dass fernere in derselben Rede hervorgetretene lrrnngen hiedurch unvermeidlich
geworden sind.
Es beruhte nämlich auf einem Missverständnisse, wenn von jener Seite
angenommen wurde, dass die derzeit in acht {österreichischen Städten bestehenden
Stantsgewerbeschulen säinmtlich "höhere Gewerbeschulen" seien. Vielmehr bestehen
in vier von den acht Städten (Wien, Salzburg, Graz. Bielitz) nicht „höhere
Gewerheschulen" sondern ,.Werkmeisterschulen". _
Durch diese Aufklärung verliert wohl die Begründung an Kraft, welche für
jene llleinung, dass die. Pläne der Unterrichtsverwaltnng zu weit g-iengen, angeführt
wurden. Diese Begründung bestand in einem Hinweise „auf unsere Nachbarländer,
Sachsen und Preussen". Doch wurde bezüglich dieser Länder nur gesagt: „In
einem Lande von solch weitgehender wirthschaftlicher Bedeutung. wo die
Industrie auf einer solchen Stufe der Entwicklung und Ausbildung steht, wie in
Sachsen, bei einer Bevölkerung von 2']; Millionen Seelen, besteht eine einzige
derartige höhere Gewerbesebnle in Chemnitz; dort werden Werkführer, Werk-
meister für die verschiedenen Categorien des gewerblichen Lebens herangebildet
und diese Anstalt genügt vollauf dem Bedürfnisse."
Abgesehen davon, dass hier die königl. höhere Gewerbeschule zu
Chemnitz mit der in derselben Stadt bestehenden künigl. Werkmeister-
sch ule verwechselt wurde, konnte durch die zwischen Sachsen und Österreich
gezogene Parallele obeifirte Anschauung einfach dessbalb nicht begründet werden,
weil in Sachsen gegenwärtig und schon seitJahren anfTAMiIIiOneu
Seelen acht auf der Stufe der Werlrmeisterschule stehende An-
stalten und drei höhere Gewerbeschnlen kommen ").
') Von den Werkmeintem-hulen sind Staatsunxtalleu: in Chemuitl zwei und in
Dresden, Leipzig, Zittau und Planen je eine; ferner Privnlanntnlteu: lu Franken-
berg nud Mitweida ja eine. An höheren Gewerheu-lmlen bestehen: eine Slaatsanxtalt zu
Chemnitz uurl zwei Privatanstalten zu Frunkenbeyg und Mitweida. Die Vorstellung, (lau iu
riarhsen eine einzige Gewerbesrhnle "dem Bedürfnisse vollauf genügt", ist somit eine irrige.