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bei der Fabrication und der fabelhaft billigen Herstellungsweise der Bilder
lucrative Geschäfte machen müssten.
Natürlich müsste man die Ausführung der l-leiligenbilder im modernen
russisch-byzantinischen Style den Bedürfnissen des jeweiligen Absatz-
gebietes anpassen.
Das Bild des Erlösers und der Muttergottes ist jedem Christen heilig
- möge er Russe, Franzose, Deutscher oder Serbe sein. Der edle, histo-
risch gewordene Typus des in Russland allgemein verbreiteten Christus-
kopfes oder der Madonna würde demnach sowohl in Oesterreich als in
Spanien Gefallen finden.
Nur darf in diesem Falle die ciselirte, gravirte, gepresste, vergoldete
oder versilberte Metallplatte keine russischen Aufschriften tragen, sondern
solche in den betreffenden Landessprachen von Polen oder Böhmen, von
Croatien oder Tirol.
Vergegenwärtigt man sich auch, dass die große Anzahl von Landes-
patronen und Landesheiligen in modernem russisch-byzantinischen Style
ausgeführt, alle diesem Zwecke gewidmeten mittelmäßigen litho- und
oleographischen Vervielfältigungen, die eher einer Geschmacksverwilderung
als der religiösen Pietät Vorschub leisten, vollkommen verdrängen würde,
so ersieht man wohl leicht, was für ein großes Feld eigenartiger, lucrativer
und edler Kunst und Gewerbethätigkeit sich den russischen Heiligenbilder-
Fabrikanten erschließen würde, wenn dieselben die Fähigkeit und die
nothwendige Bildung besäßen, umxdieses bis jetzt vollkommen unbeachtete
Gebiet im Auslande zu exploitiren.
Von russischen Kaufleuten, die weder über eine geordnete Buch-
führung noch über sprachkundige Correspondenten verfügen und die, wie
ich selbst gesehen habe, der größten Rathlosigkeit verfallen, wenn sie in
deutscher Sprache eine Bestellung erhalten - lässt sich zur Zeit eine
Exploitirung dieser Idee nicht erwarten. Erst dann, wenn wir in Russ-
land ein Institut haben werden, dessen Eleven ein solches Maß von all-
gemeiner Bildung erwerben, wie es zu einer gedeihlichen Entwickelung
der Heiligenbilder-Fabrication in künstlerischer und commercieller Be-
ziehung wünschenswerth ist - erst dann kann man erwarten, dass diese
hochentwickelte, bis jetzt ausschließlich nur russischen Zwecken dienende
nationale Industrie ihre Fabricate mit Erfolg im Auslande absetzen wird.
Bis dahin können jedoch Jahrzehnte vergehen und da es jetzt mehr
als in früheren Zeiten lebhafte Nachfrage und ein wachsendes Bedürfniss
nach Heiligenbildern in streng russischem Style gibt, das durch russische
Fabrikanten aus den oben angeführten Ursachen nicht befriedigt werden
kann, so dürfte es dem k. k. Oesterr. Museum in Wien leicht gelingen,
sich gerade jetzt eines Fabricationszweiges zu bemächtigen, der für Oester-
reich ganz neu wäre und dessen Absatzgebiet zum größten Theile in
Oesterreich selbst oder in den seiner handelspolitischen Machtsphäre zu-
gänglichen Ländern liegen würde.