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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe XVII (1882 / 206)

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Auch der Meister, dessen Name im Musikleben Prags zur Signatur der ersten Hälfte 
dieses Jahrhunderts geworden ist, Wenzel Johann Tomasek (Tomaschek), kam vom 
Lande; er wurde am 17. April 1774 in Skuc, einem Städtchen des östlichen Böhmens, 
als Sohn eines schlichten Webermeisters und Leinwandhändlers geboren. Man kann voll 
ihm nicht gerade sagen, daß sein Entwicklungsgang ein allzn rascher gewesen ist. Nachdem 
der neunjährige Knabe den grundlegenden musikalischen Unterricht von einem tüchtigen 
Regenschori in Chrudim empfangen und sodann die erforderlichen deutschen Sprach- 
kenntnisse — von einem alten Invaliden — sich ungeeignet, wurde er nach Jglau geschickt, 
wo er als Vocalist bei den Minoriten aufgenommen und hauptsächlich seiner Coloratur 
wegen sehr geschätzt wurde, und zugleich die Gymnasialstudien begann, welche er dann in 
Prag beendete, um sich der Jurisprudenz zuzuweuden. Eine „Don-Juan"-Vorstellung 
machte aber mit Einem Schlage ans dem bisherigen Pleyel-Verehrer einen der begeistertsten 
Mozartianer, und von nun an war die Musik als Lebensaufgabe das höchste Ziel seiner 
Wünsche. Die Theorie eignete sich Tomasek aus Büchern an — der Unterricht bei Johann 
A. Kozeluh war zu theuer — und das Clavierspiel, in dem er es bald zur Virtuosität 
bringen sollte, lernte er im Grunde genommen von selbst, natürlich nach verzweifelten 
Kämpfen mit dem Fingersätze. Ende der Neunziger-Jahre trat er endlich mit seiner erstell 
gedruckten Composition (Claviervariationen) vor die Öffentlichkeit und bald darauf 
gelang es ihm, selbst einen gewiegten Kenner wie Forkel mit einer sozusagen improvisirten 
„Scarlatti'schen" Phantasie zu mystifiziren. Aber erst der durchgreifende Erfolg seiner 
Ballade „Lenore" führte ihn an das ersehnte Ziel: Graf Georg Buquoi ernannte ihn 
1806 zu seinem Componisten und ermöglichte ihm dadurch, sich nun der Kunst ausschließlich 
zu widmen. Von seinen Clavier-Compositionen machten die „Wogen", „Rhapsodien" und 
„Dithyramben" als interessante Versuche, „die Dichtuugsarten der Poetik in das tonische 
Gebiet zu verpflanzen" und dadurch dieses Gebiet zu erweitern, sowie als willkommene 
Concertpiecen das meiste Aufsehen. Das verständnißvolle Eingehen Tomaseks auf die 
von ihm componirten Goethe'schen Texte wurde vom Dichter selbst gelobt und ein gewisser 
pathetischer Zug befähigte ihn ganz besonders zu der wiederholten musikalischen Illustration 
Schillers; dagegen wurde die Oper „Seraphine" zwar 1811 günstig ausgenommen, konnte 
sich aber nicht behaupten. Die Orchester- und Kammerwerke Tomaseks, sowie seine Kirchen- 
compositionen wurden noch nach seinem Tode geschätzt und aufgeführt, als sein reifstes 
Werk gilt aber — nebst der Musik zur Schlußscene aus Schillers „Braut von Messina" 
und einer Krönungsmesse — das große Requiem in 6-inoll (1820), das bei seiner noblen 
Factur durch thematische Einheit und Abrundung ein fast modernes Gepräge erhält. 
Tomasek brachte den größten Theil seines Lebens in vornehmer Zurückgezogenheit 
zu, doch umgeben von einem ihn treu verehrenden Schülerkreise und gern ausgesucht von
	        
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