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Auch der Meister, dessen Name im Musikleben Prags zur Signatur der ersten Hälfte
dieses Jahrhunderts geworden ist, Wenzel Johann Tomasek (Tomaschek), kam vom
Lande; er wurde am 17. April 1774 in Skuc, einem Städtchen des östlichen Böhmens,
als Sohn eines schlichten Webermeisters und Leinwandhändlers geboren. Man kann voll
ihm nicht gerade sagen, daß sein Entwicklungsgang ein allzn rascher gewesen ist. Nachdem
der neunjährige Knabe den grundlegenden musikalischen Unterricht von einem tüchtigen
Regenschori in Chrudim empfangen und sodann die erforderlichen deutschen Sprach-
kenntnisse — von einem alten Invaliden — sich ungeeignet, wurde er nach Jglau geschickt,
wo er als Vocalist bei den Minoriten aufgenommen und hauptsächlich seiner Coloratur
wegen sehr geschätzt wurde, und zugleich die Gymnasialstudien begann, welche er dann in
Prag beendete, um sich der Jurisprudenz zuzuweuden. Eine „Don-Juan"-Vorstellung
machte aber mit Einem Schlage ans dem bisherigen Pleyel-Verehrer einen der begeistertsten
Mozartianer, und von nun an war die Musik als Lebensaufgabe das höchste Ziel seiner
Wünsche. Die Theorie eignete sich Tomasek aus Büchern an — der Unterricht bei Johann
A. Kozeluh war zu theuer — und das Clavierspiel, in dem er es bald zur Virtuosität
bringen sollte, lernte er im Grunde genommen von selbst, natürlich nach verzweifelten
Kämpfen mit dem Fingersätze. Ende der Neunziger-Jahre trat er endlich mit seiner erstell
gedruckten Composition (Claviervariationen) vor die Öffentlichkeit und bald darauf
gelang es ihm, selbst einen gewiegten Kenner wie Forkel mit einer sozusagen improvisirten
„Scarlatti'schen" Phantasie zu mystifiziren. Aber erst der durchgreifende Erfolg seiner
Ballade „Lenore" führte ihn an das ersehnte Ziel: Graf Georg Buquoi ernannte ihn
1806 zu seinem Componisten und ermöglichte ihm dadurch, sich nun der Kunst ausschließlich
zu widmen. Von seinen Clavier-Compositionen machten die „Wogen", „Rhapsodien" und
„Dithyramben" als interessante Versuche, „die Dichtuugsarten der Poetik in das tonische
Gebiet zu verpflanzen" und dadurch dieses Gebiet zu erweitern, sowie als willkommene
Concertpiecen das meiste Aufsehen. Das verständnißvolle Eingehen Tomaseks auf die
von ihm componirten Goethe'schen Texte wurde vom Dichter selbst gelobt und ein gewisser
pathetischer Zug befähigte ihn ganz besonders zu der wiederholten musikalischen Illustration
Schillers; dagegen wurde die Oper „Seraphine" zwar 1811 günstig ausgenommen, konnte
sich aber nicht behaupten. Die Orchester- und Kammerwerke Tomaseks, sowie seine Kirchen-
compositionen wurden noch nach seinem Tode geschätzt und aufgeführt, als sein reifstes
Werk gilt aber — nebst der Musik zur Schlußscene aus Schillers „Braut von Messina"
und einer Krönungsmesse — das große Requiem in 6-inoll (1820), das bei seiner noblen
Factur durch thematische Einheit und Abrundung ein fast modernes Gepräge erhält.
Tomasek brachte den größten Theil seines Lebens in vornehmer Zurückgezogenheit
zu, doch umgeben von einem ihn treu verehrenden Schülerkreise und gern ausgesucht von