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welche ihrer großen Aufgabe sich vollbewusst sind; aber leider sind heu-
itigen Tages nur wenige Künstler sich der großen Mission bewusst, welche
die historische Malerei zu erfüllen hat. Nicht wenige glauben, wenn sie
die Menschen in angeblich richtige Zeitcostüme stecken, so sei dies schon
Historienmalerei, eine Auffassung, welche noch gefördert wird durch den
Einfluss des Theaters auf unsere moderne künstlerische Production. Es
gibt nicht wenige historische Bilder, welche in uns die Vorstellung er-
wecken, es sei das Gemälde nur eine Reproduction einer Theaterscene,
nicht die künstlerische Lösung eines geistigen Actes auf der Arena der
Weltgeschichte.
Bei der Darlegung dieser principiellen Frage müssen wir uns
' eines Satzes des großen Denkers Aristoteles erinnern, welchen er an
mehreren Stellen seiner Werke, vor Allem in seiner Poetik ausgespro-
chen hat, wo er die Poesie mit der Geschichte vergleicht. Er sagt,
"dass die Poesie viel philosophischer sei als die Geschichte, weil erstere
mehr ein Allgemeines, letztere mehr Besonderes und Einzelnes behandle
und gebunden sei, sich neben dem Besonderen auch noch an das Histo-
rische zu haltenm Verfolgen wir den Gang der aristotelischen Gedanken,
so müssten wir consequenterweise auch sagen, dass ebenso die historische
Malerei, welche die innern Vorgänge der Seele, Gedanken und Stim-
mungen verkörpert, staatenbegründenden und Völker bildenden Ideen
dient, philosophischer und poetischer sei, als die Geschichtschreibung.
Und darum hat auch die Historienmalerei die Berechtigung, ihren Stoff
poetisch und mit künstlerischer Freiheit behandeln zu dürfen. Sinkt aber
die Historienrnalerei zu einer Costüm- und Theatermalerei herab, dann
verliert sie diese Berechtigung und hat keinen Anspruch auf eine höhere
Stellung. Von jener poetischen Freiheit haben alle großen Künstler Ge-
brauch gemacht: Rafael in seinen Stanzen, Rubens in seinen historischen
Darstellungen, und sie hatten Recht, die Geschichtsmalerei im poetischen
Geiste und mit voller künstlerischer Freiheit zu behandeln. Und so
möchten wir auch jetzt, wo wir uns dem eigentlichen Thema nähern,
unseren Künstlern empfehlen, den reichen historischen Stoß", welcher die
großen Vorgänge der üsterreichischen Geschichte in sich schließt, mit
poetischer und künstlerischer Freiheit zu behandeln und dabei den großen
Staatsgedanken, der in der österreichischen Geschichte so deutlich zu Tage
tritt, als den leitenden Grundgedanken, ich möchte sagen wie das Leit-
motiv in der Musik, zu betrachten. Denn die Stärke und die Kraft der
habsburgischen Dynastie und ihrer welthistorischen Mission liegt nicht bloß
in den einzelnen Thaten der Monarchen, sondern in der völkerverbindenden
Mission, welche alle Regenten der Ostrnark von den Zeiten Karls des
Großen bis in die Gegenwart übernommen haben. Die Zeit, in welcher
nach dem Absterben der Babenberger die habsburgische Dynastie die
Führung des österreichischen Staatsgedankens übernommen hat, welcher
in der Gründung der Ostrnark gelegen ist, war eine Uebergangsperiode