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bürgischen Rebellen das Reich bedrängten und die Monarchie in ihren Fun-
damenten zu erschüttern drohten. Wir werden im nächsten Jahre wahrnehmen
können, welch' mächtige Erinnerungen in uns lebendig werden, wenn wir
uns vergegenwärtigen, in welcher Gefahr die ganze christlich-germanische
Civilisation sich befand, aus der sie durch die Ausdauer der Bürger Wiens
und durch die ruhmvolle Tapferkeit der katholischen Liga, an deren
Spitze Kaiser Leopold, Sobieski und zahlreiche deutsche Reichsfürsten
standen, befreit wurde. In dieser Periode der äußeren Bedrängniss konnte
sich selbstverständlich ein reiches Kunstleben speciell in Wien nicht ent-
falten, bis nicht die Türkenkriege beendigt und der Friede durch die
pragmatische Sanction befestigt wurde, an deren Schwelle der große
Kunstfreuncl Prinz Eugen stand.
Kaiser Karl VI. (1713-1740) gehört in die Reihe jener österrei-
chischen Regenten, welche nicht bloß die Kunstangelegenheiten, sondern
auch die volkswirthschaftlichen Fragen in großem Style behandelt haben.
Was durch ihn für Triest und den österreichischen Seehandel geschehen
ist, verzeichnet die Geschichte. Fischer von Erlach und Bibieria, die
Maler Gran und Maulbertsch waren die Künstler, welche unter seiner
Regierung gewirkt, und eine Reihe von Bauten wurde hergestellt, die
wie die Karlskirche, die Hofburg, die Winterreitschule, Hofbibliothek etc.
Wien erst das Aussehen einer großen Residenz verliehen haben.
In den bewegten Zeiten der großen Kaiserin Maria Theresia (1740
bis 1780) wurden die beiden Schlösser Schönbrunn und Laxenburg ge-
baut, bei deren Ausschmückung Bildhauer Bayer sein reiches Talent ent-
falten konnte; sie förderte Rafael Donner und ihrer Initiative ist es zu
danken, dass die wunderbaren Bilder von Rubens und van Dyk für die
Belvedere-Galerie erworben wurden, deren Zierden sie heute bilden. Der
Nachfolger Maria Theresia's, Kaiser Josef II. (1- 1790), dessen volks-
und bürgerfreundliches Wirken in dem Herzen eines jeden Oesterreichers
nachlebt, hat weniger den Kunstanstalten, als jenen Instituten seine Sorg-
falt zugewendet, welche der Volkswohlfahrt und der Volksbildung ge-
widmet sind.
Die Zeit Kaiser Josef II. und die darauf folgenden französischen Kriege
bezeichnen eine Periode, in welcher überhaupt von Kunst keine Rede
sein konnte. Unter allen Regenten des I-Iabsburger Stammes war Kaiser
Franz I. derjenige, welcher am wenigsten Sinn für Kunst hatte; auch um-
gaben ihn keine Staatsmänner, welche Kunst und Wissenschaft im großen
Style zu fördern geneigt gewesen wären. Um so glänzender erhebt
sich auf diesem Hintergrunde die Gestalt des gegenwärtig regierenden
Kaisers Franz Josef I., des großen Förderers von Kunst und Wissen-
schaft für alle Völker des Reiches. Mit ihm beginnt eine neue Aera der
Kunst in ganz Oesterreich. Es gibt keine Stadt der Monarchie, welche
nicht den Einfluss der Kunstschöpfungen unseres Kaisers an sich trüge.
Blicken Sie auf Graz, Pesth, Triest, Czernowitz, Innsbruck u. s. f., durch