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Reiches die Mehrheit, zumeist Bruchstücke, für das königl. Museum in
Berlin, die anderen wurden in alle Welt verstreut. Als ich von diesem
Funde hörte, interessirte ich meinen' in Aegypten weilenden Freund Herrn
Theodor Graf dafür, und seinen umsichtigen Bemühungen ist es zu
danken, dass nun in Wien der Hauptstock des ganzen Archivs vereinigt
ist: es sind an zehntausend in sechs Sprachen abgefasste , theils ganze,
theils fragmentarische Urkunden vom 5. bis zum m. Jahrhundert nach
Christo! Durch diese griechisch, koptisch, arabisch, persisch (pehlewisch),
hebräisch und syrisch geschriebenen Documente gewinnen wir einen tiefen
Einblick in das gesammte sociale wie politische Leben Aegyptens in der
bezeichneten Epoche und vermögen aus ihnen den reichsten Gewinn für
die Schriftgeschichte mehrerer Culturvölker zu ziehen.
Was den zweiten Fund betrifft, so danken wir auch ihn dem rast-
losen Eifer des Herrn Graf, welcher auf meinen Plan, in Aegypten die
Griechen- und Römergräber nachchristlicher Zeit auszu-
forschen, bereitwillig eingieng und denselben mit grossen Opfern nach fast
dreijährigem Bemühen zur glänzenden Erfüllung brachte. Die Vorher-
sagung, dass durch die Auffindung solcher Gräber der die textile Kunst
des Alterthums vor den Augen der modernen Forschung verbergende
Schleier gelüftet werden würde, hat sich bewahrheitet. Wenn auch die
Localität der entdeckten Gräberstätte aus verschiedenen Gründen noch unser
Geheimniss bleiben muss, so ist doch wenigstens - und das ist ein un-
geheurer Gewinn - das Geheimniss der kunstindustriellen Bewegung
einer grossen Culturepoche in der ersehnten Richtung endlich geoffenbart.
Denn durch unsern Fund wird über die textile Glanzperiode Aegyptens
vom circa 3. bis in das g. Jahrhundert n. Chr. ein aufklärendes Licht
geworfen.
In dem vorliegenden Katalog erscheinen selbstverständlich nur jene
Fundobiecte verzeichnet, welche in den beiden Sälen zur Ausstellung un-
tergebracht werden konnten. Die gleichfalls nur zum Theil exponirten tex-
tilen Gräberfunde gehen hier, weil chronologisch mit einer früheren Zeit
beginnend, voraus. Jeder Fachmann weiss, welche Schwierigkeiten Textil-
gegenstände einer Katalogisirung bereiten und wird zugeben, dass die-
selben nur noch gesteigert werden, wenn, wie imi vorliegenden Falle, ein
plötzlich auftauchendes colossales Material in völlig fremder Erscheinung
erkannt, bestimmt und möglichst schnell beschrieben werden soll. Wenn
mir auch längst vorausgegangene Quellenstudien diese Arbeit einigermassen
erleichtert haben, so muss ich doch bekennen, dass noch Zweifel der
Lösung harren. S0 wird z. B. erst nachträglich eine mikroskopische
Untersuchung lehren, inwieweit die Bestimmung gewisser durch Alter
und Moder hergenommenen Stotfgattungen - ob Baumwolle oder Linncn
- dem unbewaHneten Auge gelungen sei. im Uebrigen hoffe ich, so weit
es eben Zeit und Umstände gestatteten, mit diesem raisonnirenden Katalog
einen brauchbaren Führer durch die Ausstellung geschaffen zu haben.