VIII. id april MDXX. Zu Deutsch: wEr lebte volle 37 Jahre als ganzer
Mann. An dem Tage, an welchem er geboren ist, ist er auch gestorben,
u. zw. [ich gebe gleich das umgerechnete Datum] am 6. April 1520.11
Diese Angabe Bembo's stimmt mit der unmittelbar vorher gelesenen
von Vasari in einem Punkte überein; denn der 6. April des Jahres 1520
war ein Charfreitag, nur spricht Bembo das Datum bestimmt aus, während
Vasari sich mit der Angabe: Charfreitag zufrieden gibt. Nach der Grab -
schrift also ist Raphael am 6. April gestorben und am 6. April geboren,
denn er soll 37 volle Jahre gelebt haben. Nach Vasari bleibt für den
Todestag allerdings auch der 6. April bestehen, aber für den Geburtstag
ist dieses Datum nicht mehr zweifellos. Im Gegentheil; wenn wir Vasari
allein zu folgen hätten (ohne Berücksichtigung Bembtzfs), so müsste statt
des 6. Aprils 1483 auch nach der zweiten Stelle der Raphael-Biographie
der Charfreitag eintreten, d. i. der 28. März. Denn Vasari's Angabe:
uf-ini il corso della sua vita il giorno medesimo che nacque che fu
il venerdi santo, d'anni trentasetteu meint wohl nicht, dass Raphael an
demselben Datum gestorben sei, an welchem er geboren, sondern an
demselben Tage und dieser Tag wird von Vasari als Charfreitag
bezeichnet..vgiorno medesimo, che nacque che fu il venerdi santou
hieß es. Diese Deutung wird auch von der ersten Stelle verlangt.
Wir haben nun drei Stellen, aus denen wir uns Schlüsse auf Ra-
phael's Geburtsdatum erlauben können: eine in der Grabschrift, die anderen
beiden bei Vasari. Aus diesen drei Stellen resultirt der Widerpruch
zwischen: Charfreitag (ohne Angabe des Datums) und: 6. April.
Es wird meine Sache sein, die Gründe zu prüfen, welche man für
die eine oder für die andere Angabe in's Treffen zu führen vermag.
Ich glaube, dass sich bei scharfer Betrachtung der zwei sich hier
gegenüberstehenden Angaben, der allgemeineren, beweglichen des Char-
freitag und der bestimmten unbeweglichen des 6. April schon das aus-
sprechen läßt: Die genauere Angabe verdient deshalb mehr Ver-
trauen als dieLWeniger genaue, weil man annehmen muss, dass auf ihre
Fertigstellung mehr Aufmerksamkeit verwendet worden ist. Schon diese
Betrachtung allein spricht für Bembo und gegen Vasari, ohne dass wir
bisher auf die sonstige Zuverlässigkeit der beiden Gewährsmänner Rück-
sicht genommen hätten. Umsomehr aber fällt der Ausschlag zu Bembo's
Gunsten aus, wenn wir uns erinnern, dass Cardinal Pietro Bembo ein
Gelehrter aus der Blüthezeit des Humanismus war, also ein Mann, der
sich wohl überlegt haben mochte, was er auf die Grabschrift eines Lieb-
lings des Papstes hinzusetzen habe.
Vasari dagegen ist heutzutage mit Recht als oberflächlich und un-
genau bekannt, ganz zu schweigen von seiner erstaunlichen Parteilichkeit:
vJede Art literarischen Leichtsinnes wird ihm jetzt unbedenklich zuge-
traut...u (H. Grimm.)