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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe XVIII (1883 / 215)

Es ist ein Ehrenvorrecht des Architekten, dass über Alles, 
was dieser geschaffen, die Geschichte ihr Gottesurtheil abgibt und 
für alle Zeiten" feststellt. Dieses Ehrenvorrecht sichert Heinrich 
v. Ferstel eine bleibende Stätte in der Geschichte der Baukunst 
aller Zeiten und aller Nationen. Er ist aus der Welt schmerzlos 
geschieden, wie ein Götterliebling in der Vollkraft künstlerischen 
Schaffens und Denkens. Er selbst hatte keine Ahnung davon, dass 
_er sich an der Schwelle der Todespforte befand, als er, umgeben 
von Frau und Kindern, Samstag am 14. Juli 3 Uhr Nachmittags 
seine Augen schloss. 
Sein letzter Gedanke und seine letzten Worte galten seiner 
Familie, der er ein treuer, liebevoller Berather war, und jener 
Kunst, die er so meisterlich geübt hat. Mir, dem das Glück be- 
schieden war, ihm seit einer Reihe von Jahren als ein treuer 
Freund und auch in manchen Kunstangelegenheiten als gleich- 
gesinnter Kampfgenosse zur Seite zu stehen, ist vielleicht mehr 
als irgend einem Andern das Vollgewicht der Worte klar, die er 
am 13.Juli auf dem Sterbebette mit männlicher Gesinnung seinem 
Collegen Th. l-lansen zur Feier seines sicbzigsten Geburtstages 
geschrieben hat. Er fand wenige Tage vor seinem Tode noch 
die geistige Kraft, das auszusprechen, was seine Künstlerseele 
erfüllte und was wie ein Vermächtniss für seine Fachgenossen 
und seine Schüler klingt. 
Diesen Brief vollinhaltlich wiederzugeben, halte ich mich im 
Interesse des Museums für verpflichtet. Es ist jetzt noch nichtdie Zeit, 
diesen Brief zu commentiren und die Lebenserfahrungen FersteYs, 
auf welchen dieses Schreiben fußt, detaillirt zu schildern. Die 
Stellung, welche sich Ferstel in der Architektur Oesterreichs er- 
rungen hat, verdankte er seinem künstlerischen Genius und dergroßen 
Auffassung der Aufgaben der Baukunst seiner Zeit. Er wurde vom 
Glücke nur insofern begünstigt, als er in einer Zeit lebte, in ' 
welcher die größten Aufgaben, welche einem Baukünstler über- 
haupt gestellt werden können, zur Ausführung kamen. Dass es 
ihm beschieden war, einen Theil dieser Aufgaben künstlerisch zu 
bewältigen, ist kein Glücksfall, sondern die Frucht seines Ver- 
dienstes, seiner großen Arbeitskraft und unermüdlichen Schallensa 
lust. Nicht kampflos ist ihm die Palme des Sieges im geistigen 
Wettkampf gereicht worden. Sie musste erkämpft und errungen 
werden; oft erlebte er die Freude eines Sieges, nie eine Enttäu- 
schung oder einen Misserfolg. Neidlos stand er seinen Genossen 
gegenüber. Wenn Etwas, so gibt der Brief an Hansen vollgiltiges
	        
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