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erworbenen Disposition desselben entsprechender Haltung darzustellen habe;
ähnlich muss auch die Architektur ein möglichst einfaches Verhältniss ihrer
Gliederungen zum Ausdruck bringen. i
Mit Rücksicht auf die Associationen, welche die Phantasie an den
sinnlichen Inhalt knüpft, ergibt sich, dass, da die äußere Erscheinung die
Grenze der bildenden Kunst ist, Alles, was nicht direct darstellbar ist,
keine Aufgabe für das Erfassen des Kunstwerks, dass demnach das
letztere insbesondere nicht ein bloßes Zeichen für geistige Vorgänge,
für welche die äußere Erscheinung keine Erklärung bietet, bilden soll.
Andernfalls wird zwischen der äußeren Erscheinung und den angedeuteten
psychischen Vorgängen, zwischen dem Zeichen und dem Bezeichneten ein
Wettstreit der Aufmerksamkeit entstehen, der in Anbetracht der relativen
Enge des Bewusstseins nothwendig zur Vernichtung des einen Theiles
des sinnlichen und künstlerischen Eindruckes führt.
Deshalb ist auch z. B. das Maß der Individualisirung einer Gestalt
ein ziemlich beschränktes. Jene Associationen hingegen, die dem sinn-
lichen Inhalt nicht entgegenarbeiten, sondern denselben bereichern, sind
ein wichtiger Behelf, die äußere Erscheinung des Kunstwerks zu beleben
und zu mächtiger Wirkung zu bringen, wie z. B. alle räumlichen Pro-
portionen, die Unterstufe der malerischen Perspective durch die Intensität
der Farbe, die Erzeugung des Eindruckes der Höhe durch die steilen
Linien und spitzen Winkel der Gothik, der Geräumigkeit durch das
Ebenmaß der drei Dimensionen u. s. w.
Da die Vorstellung der Bewegung im Gegensatze zur Farbe der
räumlichen Ausdehnung ist, keinen Theil der Empfindung bildet, sondern
ein, mit Hilfe der wirklichen Ortsveränderungen erzeugtes Product der
Phantasie ist, so wird die Plastik, da sie jedesmal nur einen einzigen
Augenblick der Gestaltung auszudrücken vermag, von der Darstellung der
Bewegung nur einen beschränkten und indirecten Gebrauch machen
können. Alle diese psychischen - nicht physiologischen - Elemente
weisen darauf hin, dass die Gestalten der bildenden Kunst, und zwar
iene der Plastik mehr als die der Malerei, eine Tendenz zur ruhigen,
normalen Haltung unter Vermeidung der Andeutung heftiger psychischer
Erregung besitzen und dass dem Künstler, bei aller Freiheit auf seinem
eigenen Gebiete, dem der äußeren Erscheinung, eine Schranke in dem
sinnlichen Materiale seiner Kunst, in dem ibiov aicönröv derselben,
gesetzt ist.
Der Vortragende führte diese Momente an zahlreichen Beispielen der
Antike und Renaissance, sowie auch an den entgegengesetzten Erschei-
nungen, insbesondere der Barocke näher aus, wobei er jedoch hervorhob,
dass diesen psychischen Elementen -- ähnlich wie den statistischen Ge-
setzen - nur ein allgemeiner EinHuss auf das gesammte Auftreten
der Kunst zukomme, ohne dass man jedoch erwarten könne, dass sie
in den einzelnen Kunstwerken jedesmal direct und bewusst Ausdruck