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Objekt: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 2. Jahrgang 1905/06

Mein SPRACHLEHRER beginnt mit der Entstehung der 
Sprache. Das Rauschen des Baumes, das Ächzen eines Zaunes, 
das Heulen des Sturmes, das Murmeln des Baches nennt er 
die SPRACHE DER ERDE. Und wie der Mensch selber 
nichts anderes als Erde ist, kann seine Sprache auch nichts 
anders sein als das Rauschen des Baumes, der gegen den 
Sturm sich stemmt, als das Murmeln des Baches, der über 
das Gestein sich fortmüht, als das Ächzen des Zaunes, den 
der Wind bedrängt und umzuwerfen droht. Und wieder zeigt 
der Lehrer das Aufwärtswollen in der Natur, dies rätsel 
hafteste aller Rätsel, dies Aufblicken des ganzen Erdenlebens 
zum Kristallkuppelbau Gottes. Von Bach und Baum zur 
Sprache des Tieres, zur Sprache des menschlichen Kindes. 
Ausrufe, Schallnachahmungen die ersten Worte! — Und so 
muß dem Schüler auch seine eigene Sprache werden zu einer 
kleinen, vorübergehenden Welle im stets bewegten Meer des 
ewigen Werdens. — Wie einst die Worte unserer Mutter 
sprache so schwer, so voll Wohlklang, voll starker, schöner 
Vokale waren, wie sie flüchtiger, hastiger, seichter geworden, 
je mehr sich die Menschen in Städten gesammelt zu auf 
reibendem, der Herzkraft, der Gesundheit schädlichem Leben, 
je mehr sie abtrünnig geworden der heiligen Erde und ihrem 
reinen Dienste. Wie nur mehr die Wurzelsilben unserer 
Wörter das eigentliche Leben in sich tragen, wie die Neben 
silben abgestorben und verwelkt sind, die einst so voll und 
feierlich mitklangen. Wie Sprache und ßegriffsbildung in 
einem sich komplizierte, wie jedes Wort ein Werkzeug ist 
im großen Kampf um Glück und Höhe. — Da wird der 
Schüler eines Tages seine Sprache klingen hören, wie er 
sie bisher nicht vernommen. Da wird er, wie er sich mit 
seinem Leibe als ein Sonnenkind erkannt und wie er sich 
mit seiner Seele, das heißt mit seinem Streben nach dem 
Lichttempel in der Höhe EINS erkannt hat mit dem ewigen 
Aufwärts, das als Urtrieb in der Erdscholle liegt, von nun 
an auch seine Worte geheiligt sehn als das feinste Ausdrucks 
vermögen, zu dem die Sprache der Erde sich entwickelt hat. 
Und die Dichterworte in ihrer Schönheit wird er lieben wie 
die blühenden Pfirsichzweige seines Gartens und die Lieder 
der großen Erdgeister wird er genießen wie die sonnen 
warme, erdblut-duftige Himbeere auf dem Hange und die 
Sprüche der Weisen wird er empfinden wie Weinbergduft 
oder wie den Odem seines reifen Kornfelds, das in der 
Sommerglut um seine Heimstätte wogt und ihm die schönste, 
reinste, menschenwürdigste Speise verspricht, das Brot. — 
Und wenn er den feinen Aufbau, das Gewebe der Sätze, 
der Satzverbindungen und Satzgefüge und Perioden durch 
forscht, so wird er darin dasselbe „übergeordnet und Unterge 
ordnet“ in dem Ausdrucke seiner eigenen Gedanken finden, das 
er im Weltall draußen ebenso gewahr wird wie in jedem 
Pflänzlein seiner Felder und in seinem eigenen Organismus. 
Und der Rhythmus in der Sprache wird ihm als der Puls des 
Alls, der Wogenschlag des ewigen Werdens, den er am 
heißesten in seinem jungen Herzen spürt, eine Gottesoffen 
barung sein. 
Uber diesen Sälen aber, über dem Reich der festen und 
sicheren Erkenntnis, sei DAS REICH DER AHNUNG. Wie 
könnte die Ahnung täuschen, die aus sicheren Erkenntnissen 
hervorgeht! Und also sei in der großen KRISTALLKUPPEL 
meines Gipfelhauses die erlauchteste BÜCHEREI. In schönen 
Büchern sei in großen Lettern das Schönste zu lesen, was der 
Menschengeist von seiner ewigen Erkenntnis in der vom 
Weltallspuls rhythmisch bewegten Sprache kundgetan. Und 
blickt der Leser in dieser Bücherei auf, so sieht er durch 
die kristallnen Wände auf das Gewoge der weiten Bergwelt 
ringsum, die scheinbar unter ihm liegt und hinausschwimmt 
in blauenden Horizonten wie das versteinerte Meer des ewigen 
Werdens, des Urrhythmus, in dem wir mitschwingen wie 
Schaumperlen auf Wellenkämmen. — Dort und da blicken 
von den Hängen die Heimstätten der Schüler herauf, Garten 
und Feld, Wald und Weide. Da, in solchem Anblick Homer 
und Dante, Shakespeare und Goethe lesen ...! — Ja wahrhaft, 
unsere Bücherei wird keine große sein. Das Allerbeste, das 
wird auf den Tischen umliegen können und wird nicht steil 
die Wände hinanklettern und als drohender Staubwust auf 
uns niederäugen. — Was an Fraglichem, noch nicht als reinster 
Ausdruck des ewigen Menschenstrebens Anerkanntem der 
Schüler genießen will, das möge er in seiner Heimstatt lesen, 
so lang ihm die Sonne stark genug auf die Blätter scheint 
und ihm die Buchstaben nicht das Auge kränken. 
Und über der Kuppel ein Stübchen zum STERNGUCKEN. 
Immer wieder an klaren Abenden ein Blick in die Licht 
ewigkeit, das hält den Menschen vollends hoch und rein, läßt 
ihn die Erde immer‘wieder von neuem lieben, das erhält 
ihn im Bewußtsein seiner Kleinheit und seiner Größe, im 
Bewußtsein seiner Einheit mit dem Ewigen. 
Jeder Schüler pflege in seinem Heim am Hange die KUNST, 
die ihm lieb ist — DER male, der MUSIZIERE, der dichte. 
Und jeder sei sich bewußt, daß Kunst ein menschlich Neu 
schaffen der Ewigkeit ist. Jedes Thema, das der Musiker 
plötzlich in seligem Glück empfängt, jedes Motiv, das der 
Maler herausgreift aus einer gegebenen Landschaft, überhaupt 
aus dem grenzenlosen Bereich der Wirklichkeit, die seine 
Sinne empfinden, jedes kleinste Gedicht ist ein in sich ge 
schlossenes Eine und es erfüllt uns mit heißem Glück oder 
es ergötzt uns mit lieblicher Freude, weil es in dem be 
schränkten Mittel ein Abbild ist des Unbegrenzten, weil es 
in sich selbst vollkommen ist. 
Aus dieser meiner Schule mögen sie dann niedersteigen, ins 
Leben, in den Alltag zurück, sie mögen sich dem Sonderberufe 
widmen, für den sie sich geeignet erkennen. Das ist gewiß, 
sie werden das Sonnenbanner in der Hand tragen und mit 
reißen alle, alle, die sich ihnen nahen, auf den Wegen zur 
Gesundheit und zum Glück; sie werden, gewohnt an den 
Aufblick zur Kristallkuppel des Schulpalastes, allem klein 
lichen Eigendünkel ferne, willenlos sich eingegliedert sehn 
in den ewigen Aufwärtstrieb, in das Emporringen, welches 
aus der Erdscholle übergegangen ist ins Herz des Menschen 
und die Gewähr bildet für eine unendliche Seligkeit. 
DIE UNTERSTE UND BEI WEITEM WICH 
TIGSTE GATTUNG DER SCHULEN IST DIE, 
IN WELCHER DAS GELEHRT WIRD, WAS 
JEDER MENSCH, SEI ER WAS ER WOLLE, 
ARM ODER REICH, GROSS ODER GERING, 
GELEHRT ODER UNGELEHRT, ZUERST 
UND NOTWENDIG BRAUCHT. DIESE 
SCHULE MUSS DIE ZAHLREICHSTE SEIN, 
SIE MUSS ÜBER DAS GANZE LAND VER 
BREITET SEIN, WOHER SIE AUCH DEN 
NAMEN LANDSCHULE HAT. 
ADALBERT STIFTER. 
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DAS SCHULHAUS. Z u den schlimmen Erinnerungen meiner Knabenzeit gehört das Schulhaus. Noch immer ist die Empfin dung von damals wach: der erkältende Eindruck öder Gänge und Klassenzimmer, die, kahl und nüch tern, die verschüchterte Seele mit dem Eiseshauch der Lieblosigkeit erstarren, erschrecken und niederdrücken, an statt zu erheben und frei und froh zu machen. Der Froh sinn, den das Kind von daheim mitbringt, erstirbt an der Schwelle des unfreundlichen Hauses, das eher einer Korrek tionsanstalt gleicht denn einer Erziehungsstätte, wo der erste Samen der Bildung in die jugendlichen Herzen gesenkt werden soll. Der Grundsatz, daß Schule und Heim Hand in Hand gehen soll, wird allein schon durch den Schulbau zu schänden gemacht. Die Erfahrung werden die meisten aus ihrem eigenen Leben bestätigen können, daß es keinen größeren Gegensatz geben kann als den zwischen Schule und Heim. Hier herrscht die Liebe, dort der Zwang. Aus dem anheimelnden Schoß des Daheims tritt das Kind in das frostige Bereich des Schulhauses: der harte, abstoßende Geist, der in dieser Gefangenhausarchitektur waltet, schleicht sich naturgemäß auch in den Unterricht ein und wird zum Despoten; die Entfaltung der geistigen und sittlichen Kräfte, die dem jungen Menschenwesen eine Lust sein soll, wird durch ihn zum Leid. Allerdings gibt es viele auch, denen dieser betrübende Gegensatz nicht so recht bewußt geworden, weil sie in ihrem Zuhause nicht von Liebe und Trautheit umschirmt waren, wie die meisten Kinder der Armut. Aber gerade jenen Enterbten sollte die Schule um so reichlicher geben, was etwa das Familienwesen versagt, eine warme Stätte der Liebe und des Gedeihens. Die Schule gibt dem Hungernden Stein statt Brot. Der Geist des Schematismus, so er im Schulbau und in'weiterer Folge im Unterricht waltet, ist eher bereit, weh als wohl zu tun. Waren nicht die meisten von uns von dem Betreten der Schulschwelle an bis zum erlösenden Glockenzeichen, das den Schulschluß ankündet, von dem einen Gedanken beherrscht: „Wenn’s nur schon aus wär’!?“ Man kann ruhig behaupten: jene Unaufmerksamkeit, jenes Fluchtgefühl, das gewissermaßen den Zwang und die Härte der Unterrichtsmethode rechtfertigt, sie vielleicht sogar her aufbeschworen hat, ist zum Teil auf Rechnung der un künstlerischen Bauweise zu setzen. Die Kunst stehe an der Schwelle des Lebens. Wo ihre Segnungen fehlen, ist kein Gedeihen. Man mag einwenden, daß es beim Schulbau in erster Linie auf Forderungen praktischer und hygienischer Natur ankomme, nicht aber auf ästhetische Wirkungen. Wer Praktisch, Hygienisch und Ästhetisch in Gegensatz bringt, befindet sich in einem traurigen Irrtum, denn er vergißt, daß das Echtkünstlerische, zum Unterschied von dem Schein künstlerischen, das Praktische und Hygienische zur Voraus setzung hat, also in Wahrheit nichts anderes als die formale Lösung dieser positiven Forderungen bedeutet. Die glück liche, zwecklich formale Lösung wird allein zu unserem Ge fühle sprechen und man wird im Ernste nur das schön finden, was auch wirklich zweckdienlich ist. Wenn wir also von künstlerischer Lösung sprechen, ist naturgemäß auch das Praktische und Hygienische gemeint. Scheinkünstlerisch aber sind alle bisherigen Schulbauten, die sich mit nichtssagenden Schmuckformen an der Fassade begnügen und im Innern Monumente unheimlicher Ideenarmut sind. Schulbauten, denen der Segen der echten Kunst nicht fehlt, sind annoch Gegenstand des Wunsches, nicht aber der Er füllung. Wir haben bei uns noch keine Vorbilder, auf die wir hinweisen können, nicht einmal noch ein Anfang ist gemacht. Höchstens verwandte Gebilde aus verschollener Zeit sind vorhanden, aus denen ungefähre Andeutungen zu holen sind. Zwanzig Jahre oder mehr sind vergangen, seit wir uns in den geschilderten Schulzimmern die Herzen er froren haben, ein starker Umschwung der Meinungen hat sich inzwischen vorbereitet und,‘auf einzelnen Gebieten tat sächlich vollzogen, aber auf dem Gebiete des Schulhausbaues ist alles beim Alten geblieben. Oder vielmehr ist es nicht beim alten geblieben, das heißt so, wie es in unserer selig unseligen Schulbubenzeit war, sondern es ist noch schlechter geworden. Sechs bis acht Schulen wurden in unserer Stadt während der letzten Jahre gebaut, Volks- und Bürger schulen, Gymnasien und Realschulen, in denen der Kasernenstil Triumphe feiert. Und unzählige Beispiele aus der Provinz wären zu nennen, die als Schandflecke in der Land schaft sitzen und innen und außen das Musterbild geistlosester Schablonenarchitektur sind. Alle diese Verbrechen wider den guten Geschmack und die künstlerischen Instinkte des Volkes geschehen im Namen der Hygiene und der Zweckmäßigkeit. In Wahrheit aber sind weder die Forderungen der Hygiene und der Zweckmäßigkeit erfüllt, noch ist überhaupt den primitivsten künstlerischen Anforderungen, die jede Dorf schule beachtet, Genüge getan, obzwar aus den Lehrerkreisen sich mehr als eine dringende Stimme erhebt und um Ab hilfe schreit. Aber alle Schreie sind bisher ungehört verhallt, und es bleibt nicht weniger als alles noch zu tun übrig. Es ist bezeichnend für die Rückständigkeit auf diesem Gebiete, daß ungeachtet der enormen Wichtigkeit des Schulwesens bisher noch nicht der Versuch unternommen worden ist, zur Erlangung von geeigneten Schulbauprojekten die zeit gemäße Künstlerschaft im Wege einer Idealkonkurrenz für diese Aufgabe zu interessieren und eine künstlerische Neu gestaltung anzubahnen, während ein solcher Versuch, dem Zeitgeiste gerecht zu werden, sogar schon in der kirchlichen Kunst mit nicht geringem Erfolge durchgeführt worden ist. Man kann nur aufrichtig wünschen, daß dieses Beispiel bei den Schulbehörden Nachahmung fände, um der Verheerung vorzubeugen, die nun auch schon dem offenen Lande droht. Wenn man auf einerjWanderung in irgend ein Dorf kommt, wo die Heimatkultur vom städtischen Einfluß noch ziemlich unversehrt geblieben, ist es gewöhnlich nur ein Haus, das unangenehm aus der Umgebung heraustritt. Dieses Haus ist das Schulhaus. Mit fremden Allüren, die zur sonstigen Bäuerlichkeit in häßlichem Widerspruche stehen, dem städti schen Mietskasernentypus nahe verwandt, gebärdet es sich wie ein verkommener Proletarier unter den behäbigen Ackerbürgern. Mit ^37ehmut mag man dabei an die alte Dorfschule denken, an das liebe, einfache, freundliche Haus, das die Physiognomie der heimatlichen Wohnbauten trug, nur der Lage nach und der Bedeutung entsprechend hervor tretend unter den anderen, mit dem Gärtchen vorne oder am Hinterhaus und den freundlichen, hellen Schulstuben zu ebener Erde, weiß getüncht, mit reinlichen Bänken und den Bildertafeln an den Wänden, die bedeutsam und groß auf die junge, lernbegierige Schar niederschauen. Des Schul meisters Wohnung liegt hinter den zwei oder drei Klassen zimmern, und das ganze Haus hat davon den heimlichen, wohltuenden Anstrich der häuslichen Behaglichkeit. Diese Schule ist die Fortsetzung des Heims. Für ganz einfache ländliche Verhältnisse bestimmt, ist sie freilich nicht geeignet, einen anderen Maßstab abzugeben, als den für das ästhetische Moment, also für das, was unter solchen Umständen dem Gemüte frommt. Für größere Ansprüche, wie sie etwa von den städtischen Schulen gestellt werden, hätten wir ein 155
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