Beilage zu Nr. 219
der
„Mittheilungen des k. k. Oesterreieh. Museums."
Vorlesungen im Oesterr. Museum.
Die Donnerstag-Vorlesungen begannen mit einer Wiederaufnahme des bei Gele-
genheit der Bronze-Ausstellung im verflossenen Sommer veranstalteten Cyklus von Vor-
lesungen über Bronze, welcher damals besonderer Umstände halber unterbrochen werden
musste.
Custos Dr. Wickhoff setzte ihn mit einem Vortrage über ldie Bronzen der
Jtalienischen Renaissance: fort. ln der Einleitung bemerkte der Vortragende, dass
er sich dem Publicum gegenüber einigermaßen in Verlegenheit befinde, nachdem er auf den
unmittelbaren Eindruck der Gegenstände aus der Bronze-Ausstellung, welche zu illustriren
diese Vortrage eigentlich bestimmt waren, nicht mehr rechnen könne. Er müsse daher von
dem Einzelnen absehen und die Bedeutung und Entwicklung der italienischen Renaissance
im Allgemeinen behandeln. Beginnend mit der Concurrenz für die zweite Thüre des Bapti-
steriums in Florenz behandelte der Vortragende das italienische Bronzerelief nach zwei
Seiten; einerseits wurden die vornehmsten Künstler, welche seinen Stil entwickelt hatten,
charaltterisirt, wobei sich Gelegenheit gab, Filippo Brunelleschis Bedeutung als
Erfinder der Renaissance hervorzuheben, andererseits wurde die Frage untersucht, ob
die Bronze im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderte auf die Ausbildung des Relief-
styls von Einfluss war. Der Vortragende kam zu dem Schlüsse, dass der Styl des italie-
nischen Bronzereliefs nicht auf den Bedingungen des Materials beruhe, sondern vielmehr
sich in Nachahmung der Malerei und der Cameotechnik entwickelt habe. Die Statue hin-
gegen wurde ganz und gar von der Bronze als Material bedingt. Der Bronzestyl wurde
mit der Steinsculptur verglichen, als deren besonderer Renrasentantlder -Georgn Donatellu's
geschildert wurde, um ihn der vorzüglichen Bronzestatue desselben Künstlers, dem rDavid-
im Museo nazionale in Florenz gegenüberzustellen. Dr. Wickhofl" ging sodann auf die
Aufgaben der Reiterstatue über. Der Gattamelata in Padua und der Colleoni in Venedig
wurden stylistisch und ihrer geistigen Bedeutung nach untersucht und endlich mit der
Blüthe der Renaissancekunst, dem Entwurfe Lionardo da Vinei's für das Denkmal
des Francesco Sforza geschlossen, Wobei der Vortragende neue Gesichtspunkte für
die Entstehung des Entwurfes mit dem sich baumenden Pferde beibrachte. Nachdem die
wichtigsten Werke und Richtungen italienischer Bronzekunst dargestellt waren, wurden
in Schlusssatzen die einzelnen Ergebnisse und das Gesammtresultat der Untersuchung
hervorgehoben.
v
Arn zz. Nov. hielt Herr Jos. Folnesics eine Vorlesung: UeberdieEnttvick-
lung der Wiener Bronze-lndustrie in unserem Jahrhundert. Von dem
Grundgedanken ausgehend, dass die Kunstindustrie und ganz besonders die Bronze-
lndustrie nur gedeihen könne, wenn sie in ununterbrochenem Contact mit der hohen
Kunst stehe, schilderte der Vortragende die Beziehungen der hohen Kunst zur Kunst-
industrie im Laufe unseres Jahrhunderts unter besonderer Berücksichtigung jener Mo-
mente, die für die Bronze-Industrie maßgebend sind. Zunächst besprach derselbe die Be-
deutung Zauners für die Wiener Plastik im Anfan e unseres Jahrhunderts, wobei sich
ergab, dass die Anregung, welche die classicistische chule der Kunstindustrie bot, nicht
so geartet war, dass letztere wesentlichen Nutzen daraus hatte ziehen können. Demzu-
folge hatten sich alle jene Kunstindustriellen, welche aus dem Handwerk hervorgegangen
waren, und der akademischen Richtung ferne standen, wieder dem Rococo zugewendet,
das aber unter ihren Händen völlig degenerirte, und aller ursprünglichen Reize verlustig
wurde. lm weiteren Verlaufe seiner Ausführungen schilderte der Vortragende die traurige
Epoche des Verfalles im Kunstgewerbe bis zu jener Zeit. als auf Anregung der Londoner
Weltausstellung vom Jahre 1862 in Oesterreich durch Gründung unseres Museums und
der Kunstgewerbeschule ein mächtiger Anstoß zur Reform gegeben wurde. In glück-
lkher Weise habe gleichzeitig der ungeahnte Aufschwung in der Wiener Architektur die
Bronzeindustrie gefordert, und namentlich der Bau des neuen Opernhauses dieselbe zu
Leistungen ersten Ranges herbeigezogen. Die mannigfachen Beziehungen, welche damals
zwischen Künstlern und Bronze-Industriellen eintraten, haben in der Bronze-Industrie bald
dahin geführt, dass man von einem ganz eigenartigen Wiener Genre sprechen konnte.
lX. Bd. 1883. 42