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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe XIX (1884 / 230)

nach. Die Fabriken, deren Zahl sich von Jahr zu Jahr mehrt, waren durchgehend und 
fast ohne Unterbrechung in Anspruch genommen. Unsere Fabrikanten haben durch die 
Erfahrung mehr und mehr die Ueberzeugung gewonnen. dass nur dann ein größerer 
Absatz ihrer Waaren zu erzielen ist, wenn dieselben durch Schönheit und Reinheit der 
Formen sich hervorthun und nicht zu theuer sind. 
Wie für alle übrigen Branchen der Kunstindustrie, finden sich auch für diesen 
Zweig eine Menge junger Kräfte, welche auf Kunstschulen sich als Modelleure oder 
Zeichner ausgebildet haben, und besonders in den ersten Jahren der Selbständigkeit ihr 
Talent und ihren Eründungsgeist der Silberschmiedekunst gern zur Verfügung stellen. 
Dieselbe hat sich denn auch unter der Beihilfe künstlerischer Krafte auf eigene Füße 
gestellt, bedarf der Eingebungen fremden Geschmacks nicht mehr, ja das Ausland bedient 
sich mehr und mehr unserer Entwürfe und Vorlagen. 
Die hiesige Silberwaaren-Fabrication arbeitet theils für den allgemeinen Bedarf: 
Tisehgerathe und Ausstattungsstücke in größerer Menge. theils ist sie mit hervorragenden 
Kunstwerken für außerordentliche Gelegenheiten, Jubiläen etc. beschäftigt. 
Die Fabrikanten der ersterwahnten Species haben die lebhafte und durch manche 
Umstande (billigere Lohne) unterstützte Concurrenz der Bremer und Heilbronner lndustrie 
zu bestehen, und es bedarf namhafter Anstrengungen und rastlosen Fortschreitens, um 
der hiesigen Fabrication eine geachtete Stellung in dieser Concurrenz bei dem ganz er- 
heblichen Handel zu sichern, welchen Berlin mit Silberwaaren sowohl am Orte als nach 
den Provinzen und nach auswärts, namentlich nach Norwegen, Schweden, Italien, Spanien, 
Belgien, Rumänien betreibt. 
Die Geschäfte nach unseren Provinzen waren wiederum recht ergiebige, umso- 
mehr, als nur an wenigen größeren Platzen des lnlandes die Fabrication von Silber- 
waaren von Bedeutung ist. 
Die Besteckfabrikanteu (Gabel, Messer, Löffel und Zubehör) blieben in Förderung 
entsprechender Muster und billiger Herstellung der Facons eifrigst bemüht, der auswar- 
tigen Concurrenz erfolgreich die Spitze zu bieten; in diesem Artikel ist besonders die 
Massenproduction der Bremer Fabrikanten mit ihren sehr billigen Arbeitslöhnen zu 
bekämpfen. 
Was die anderen hiesigen Werkstätten betrilft, welche sich hauptsächlich der An- 
fertigung von grcßeren Kunstgegenstanden widmen, so waren dieselben nach Fertig- 
stellung der prächtigen Ehrengeschenke für unser königliches Haus im vergangenen Jahre 
nicht übermäßig in Anspruch genommen. Nichtsdestoweniger ist so manches schöne Stück 
für hier und für auswärts fertig gestellt worden, und selbst von England aus , wo die 
Herstellung derartiger Gegenstände (sogenannte cups) in Bezug auf Reichthum der Ideen 
und der Ausführung eine unbestrittene Hohe erreicht hat, sind einer hiesigen Werkstatt 
bedeutende Auftrage ertheilt worden. 
ln Beziehung auf den Kunststyl, der sich in der Silberwaaren-Fabrication zur Zeit 
geltend macht, gehen die Urtheile unserer Berichterstatter, wie auch schon im vorigen 
Jahre, auseinander. Der Eine sagt: iFür die Silberwaaren-Fabrication macht aich mehr 
und mehr als herrschender Geschmack der Barock- und Rococostyl geltend, wahrend 
die Formen der altdeutschen Renaissance mit ihren vergoldeten Zierathen und Arabesken 
in den Hintergrund gedrängt zu werden scheinen. Es ist dies ein Gewinn für unsere 
Fabrikate, da die Industrie in unedlen Metallen (Alfenide) gerade diese letzteren Formen 
in bedeutendem Maße ausgenutzt hat, zum nicht geringen Abbruch für den Absatz der 
Waaren aus edlem Metalle, - der Andere findet seine im vorigen Jahre ausgesprochene 
Befürchtung in Betreff der Gefahren eines neu auftauchenden Styls bestätigt und sagt: 
v-Es erschienen bereits Fabrikate auf dem Markte, welche als im Style des Rococo gear- 
beitet gelten sollten; indess erkennen wir in denselben nur Reproduction veralteter, 
schon vor 30 bis 40 Jahren verbrauchter Barock-Modelle, und zwar ganz in derselben 
wüsten Technik ausgeführt wie damals, welche nach unserer Meinung durchaus dem 
Wesen der Silberschmiedekunst widerspricht und auch dazu angethan ist, den mit großen 
Mühen erworbenen guten Ruf hiesiger Silberarbeiten zu schädigen-t Dieser Bericht- 
erstatter leugnet nicht, dass der Rococostyl seine Berechtigung und seine Gesetze habe, 
deren Befolgung Kunstwerke schade; er scheint aber von den bisherigen Leistungen in 
dieser Hinsicht nicht befriedigt. 
Was die Goldwaaren-Fabrication betrifft. so hat auch das vorige Jahr die Wahr- 
nehmung bestatigt, dass Arbeiten, bloß aus Gold hergestellt, weniger Anziehungskraft 
auf das Publicum ausüben, und dass Goldarbeiten in Verbindung mit Edelsteinen bevor- 
zugt werden. 
Die früheren Pforzheimer Waaren, welche auf mechanischem Wege leicht und 
billig für das große Publicum massenweise hergestellt wurden, finden nicht mehr so 
zahlreich wie sonst Abnehmer. Dagegen kommt die Juwelierkunst mehr zur Geltung, da 
Schmucksachen mit Perlen, Brillanten und couleurten Steinen gesucht sind. Solche mit 
Steinen in reicher oder einfacher Weise versehenen Waaren werden hier in vielen
	        
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