Als das Museum des 20. Jahrhunderts vor genau zwei Jahren eröffnet wurde.
sprach ich meinen Entschluß aus. dem Aufbau der Plastiksammlung besonderes
Augenmerk zu widmen. Heute ist es bereits möglich. eine Zwischenbilanz zu ziehen.
Zunächst ein kurzer Rückblick. Zu Beginn meiner Ankaufstötigkeit im Winter
1959160 konnte ich mich nur aufeinen schmalen Bestand stützen. Ein Übereinkommen
mit der Direktion des Kunsthistorischen Museums ermöglichte es. sieben Plastiken
als Dauerleihgaben in das Museum des 20. Jahrhunderts zu transferieren, welche
seinerzeit für die ,.Moderne Galerie" erworben worden waren. Dieser Grundstock
umfaßte Werke van Rosso. Rodin. Despiau. Minne. Lehmbruck. Barlach und
Archipenko. Schon die Aufzählung der Namen lößt erkennen. daß diese Plastiken
der ersten Geschichtsphase des Jahrhunderts entstammen und die Bewahrung der
menschlichen Gestalt dokumentieren. Wesentlich bereichert wurde diese Gruppe
durch zwei von Prof. Oberhamrner vorgenommene Erwerbungen: eine Büste
von Giacometti und das ..Wunder" von Marini. Solcherart war der Anschluß an
die Gegenwart bereits skizziert.
Heute umfaßt die Plastiksammlung des Museums siebzig Werke. davon gehören
neun dem erwähnten alten Bestand an. weitere neun sind Leihgaben. zumeist von
österreichischen Künstlern (Bertoni. Hoflehner. Wotruba), zweiundfünfzig sind
Neuerwerbungen der letzten fünf Jahre. Mit besonderer Genugtuung ist zu ver-
zeichnen, daß das Jahr 1964 nicht nur die Möglichkeit zu einer weit ausgreifenden
Ausstellung „Meisterwerke der Plastik" bot, sondern zu einer wesentlichen Ab-
rundung der Bestände führte. Es konnten heuer nicht weniger als sechs Plastiken
angekautt und in der Sommerausstellung zum ersten Male dem Wiener Publikum
gezeigt werden.
Die geschichtlich wohl interessanteste Arbeit ist der ..Kauernde" von Andre Derain
aus der Sammlung Kahnweiler. Ich rechne diese Steinskulptur zu den lnkunabeln.
in denen sich die plastische Formensprache unseres Jahrhunderts mit ungebrochener
Radikalität darstellt. Der Körper ist in den Block geprefJt. die Arbeit des MeifJels
verrät den Verzicht auf handwerkliche Verfeinerung und entspricht darin der
lapidaren Malweise. die für die .,Fauve"-Bilder Derains charakteristisch ist. Was
die Geschlossenheit anlangt. WEiSl sie jedoch bereits auf die nach-iauvistische
Periode der kubistischen Verblockung hin. Dieser "Kauernde" spricht das Thema
der Versteinerung mit einer Entschiedenheit aus. die ihresgleichen nicht hat:
Brancusis ..Kuß" entstand ein Jahr später. vielleicht nicht ohne Auseinandersetzung
mit Derain. Man kann auch vermuten. daß Matisse in seinen Plastiken den Dialog
mit dem ..t(auernden" weiterführt, so wie dieser als eine bewußt barbarische
Replik auf Maillols ..Nacht" von 1902 aufgefaßt werden kann.
Auch Duchamp-Villons ..Professor Gosset" ist ein Werk von bahnbrechender
Bedeutung. das sehr gut die kubistische Volumenanalyse ergänzt. die man im
"Pferd" (erworben 1961) studieren kann. So klar und lapidar das Volumen dieses
Kopfes ausgesprochen ist. vollzieht sich in ihm doch die Wendung in den Bezirk
magischer Verfremdung. aus dem später der Surrealismus das Vokabular der
verpuppten Form beziehen wird. Aus dem Arzt. der den verwundeten Künstler
im Lazarett behandelte. wird die Maske eines Todesboten.
WERNER HOFMANN
Zu einigen Neuerwerbungen
des Museums des 20. Jahrhunderts
1 Eugäne Dodeigm
Die Qual. 1963. sage
z Andrt 0mm
uuernder, 1901. Slei