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ist nicht Alles aus dieser Zeit so unbedingt lobenswlirdig, und namentlich
der Enthusiasmus für die tigurirten Gewänder des 15. Jahrhunderts, die
Bock der neugothischen Strömung huldigend äußerte, hätte für unsere
textile Kunstindustrie verhängnißvoll werden können, wenn nicht gesundere
Anschauungen den S_ieg behalten hätten, die sich das ornamentale Element
in der Frührenaissance zum Muster genommen hatten. Und mit vollem
Rechte. Denn mag auch Vasari bereits über den Niedergang der Kunst-
stickerei und die Vergröberung der Technik in seiner Zeit klagen - was
uns aus der Zeit von etwa r48o bis 1550 von italienischen Geweben und
Stickereien vorliegt, ist zum größten Theile mustergiltig für alle Zeiten.
Ein durch die beliebte Combination von ungebleichtem Leinen und rother
Seide ganz vortrefflich wirkendes Stück etwa vom Ende des 15. Jahr-
hunderts, in Bezug auf Technik wie Zeichnung gleich interessant, wurde
durch Vermittlung eines Händlers aus Unteritalien erworben (N. 75:9).
Es ist dies ein Deckchen von blauer Seide, auf allen vier Seiten durch
eine Leinenbordure eingefasst, deren Dessin in einer Art von punto tirato
gearbeitet erscheint. Der Grund für die Musterung wurde nämlich in
der Weise hergestellt, dass durch Zusammenfassung von 3-4 Faden des
Gewebes, sowohl in der Richtung der Kette, als des Einschlags und Um-
nähen derselben mit rothen Seidenfaden ein Netz gleichsam von starken,
rothen Seidenfaden hervorgebracht wurde, auf dem die stehen gebliebenen
Leinentheile die Musterung ergaben, welche durch Strichstich-Stickerei
in rother Seide in der Zeichnung vollendet wurde. Das Ornament ist
gebildet durch je zwei mit ihren Stengelleibern verschlungene und ein-
ander abgekehrte Profilköpfe, die von Satyrn ihre Gestaltung ableiten
mögen, und je zwei einander zugekehrte und miteinander verwacbsene
geflügelte Gestalten, die direct an die Engelsgestalten in italienischen
Geweben des 15. Jahrhunderts erinnern. Zwischen diesen zwei Haupt-
elementen der Ornamentation sind in regelmäßiger Folge stylisirte Sträuß-
chen und Rosetten angebracht, oben und unten als Besäumung eine aus-
wärts gekehrte Blätterreihe. Die Musterung zeigt somit eine Mischung
der figuralen und der ornamentalen Decorationsweise des Quattrocento,
doch mit lentschiedenem Ueberwiegen der letzteren. Die vortretflich
erhaltene Arbeit ist sehr genau und erscheint auf beiden Seiten gleich;
die Technik ist eine seltene und erscheint die Combinatiou von rother
Seide und ungebleichtem Leinen im 16. Jahrhundert häufiger durch
Flechtstickerei erzielt, welch' letztere entweder den Fond oder die Zeich-
nung hervorbringt. In dieser Art der Stickerei ist eine,Anzahl von
Stücken gefertigt, die mit einer Serie von Seidengeweben und Bro-
caten vom Museum zu Reichenberg erworben wurden. Sie gehören
dem 16.- r7. Jahrhundert an und stammen zum größten Theile aus
Italien, einige wenige aus Deutschland oder Spanien. - Mehr technisch
interessant als stylistisch nachahmenswerth ist eine prächtige italienische
Decke (Nr. 7384) mit großblumigem Dessin, der durch seine Hin-