Selbsttäuschung verleiten und einschläfern lassen können: wir kennen
sehr genau die Ueberlegenheit, welche der französischen Kunstindustrie
aus einer mehrhundertjährigen künstlerischen und geschäftlichen Tradition,
aus der natürlichen und hochentwickelten Begabung der Nation, dem über
den ganzen Erdboden verbreiteten günstigen Vorurtheile, der Weltstellung
der Sprache u. s. w. noch immer erwächst. Doch eben desswegen ist es
für uns von größter Wichtigkeit, die Entwickelung der Dinge in Frank-
reich fest im Auge zu behalten, und von dem Notiz zu nehmen, was
man daselbst von uns denkt - beziehungsweise auszusprechen für
gut findet.
Ein interessanter Beitrag hierzu liegt uns in den Berichten des
Herrn Marius Vachon über zwei im Auftrage des Unter-Staatssecretärs
Turquet unternommene Studienreisen vor'). Die erste, r88i, berührte
Deutschland und Oesterreich, die zweite, 1885, außer diesen beiden
Ländern noch Ungarn, Russland und Italien, und die auf dieser letzteren
Fahrt gemachten Beobachtungen und die darauf gegründeten Schlüsse
sind es, die hauptsächlich unser Interesse in Anspruch nehmen.
Der Verfasser erklärt, dass die nationale Bewegung auf dem Felde
der Kunstindustrie in Deutschland und Oesterreich seit 188i keineswegs
schwächer geworden sei, der Export und dadurch der Wohlstand sich
fortwährend steigere, und dass dieser Erfolg naturgemäß auch auf die
industrielle Thätigkeit zurückwirke. Er hebt hervor, mit welchem Auf-
wande das Kunstgewerbe-Museum in Berlin zu einer in ihrer Art un-
vergleichlichen Sammlung gemacht worden ist, und dass die Absicht
besteht, dort eine Zweiganstalt in der Nachbarschaft der von den Fabriken
eingenommenen Stadttheile zu gründen. Bei Wien gedenkt er mit be-
sonderer Anerkennung der Gründung des Wiener Kunstgewerbe-Vereines
und der Organisation desselben, namentlich auch des großen Erfolges,
welchen die österreichische Kunstindustrie durch das geschlossene Auf-
treten des Vereines auf der Ausstellung in Antwerpen erzielt hat; ferner
der Entwickelung des Orientalischen Museums und des Einflusses dieses
Institutes auf die Ausdehnung des österreichisch-ungarischen Exports
nach dem Orient. In Ungarn erscheint ihm die PHege des nationalen
Styles höchst bedeutsam. Originell ist das hier angeknüpfte Raisonnement.
Dem Gedeihen der national-ungarischen Bestrebungen erwachse, sagt der
Verfasser, ein großes Hinderniss in der deutschen Concurrenz, unter
welcher ausdrücklich die österreichische mitverstanden wird, und als
Mittel gegen den überwiegenden fremden Einfluss verlangt er - eine
stärkere Einfuhr französischer Waaren, Einrichtung französischer Nieder-
lagen, Ausstellungen u. s. w.!
') Rapport 21 M. Edm. Turquet. .. sur les Musäes e: les Ecoles d'art industriel et
sur la siruation des induatries artistiques en Allemagne, Aulriche-Hongrie, Italic er Russie
par M. Marius Vacbon. Paris, Typogr. de A. Quantin. gr. 4. K39 S.